Sabine Wilharm und Jutta Bauer zeichnen für Kinder- und Jugendbücher. Die beiden kommen aus Hamburg, einem guten Pflaster für Illustratoren.

Hamburg. Jutta Bauers Herz ist so weit, wie ihr Atelier im Winterhuder Goldbekhof geräumig ist. Ihre Kollegin Sabine Wilharm hat sie eine ganze Weile nicht gesehen, aber Wilharm ist kaum zur Tür herein, da sind die beiden schon mittendrin im Gespräch. Sie erinnern sich an ihre Angst vor dem Mathematikunterricht in der Schule und an die Befreiung, die es bedeutete, sich ganz dem Zeichnen widmen zu können. „Ich war ein braves, schüchternes Kind“, erzählt Wilharm, „mein Professor hat mir die Angst genommen.“ In Branchentratsch vertiefen sie sich mit derselben Hingabe wie in die Frage, wie man die Milch zum Kaffee am besten aufschäumt. Natürlich serviert Bauer ihren Kaffee nicht aus irgendwelchen Tassen. Die müssen schon mit Mumins bedruckt sein – mit diesen Figuren, eine Kreuzung zwischen Nilpferd und Troll, hat die Schriftstellerin und Illustratorin Tove Jansson Klassiker geschaffen. Und an der Genauigkeit, mit der Wilharm die witzigen Details in Bauers Einrichtung wahrnimmt, merkt man, hier begegnen sich zwei Profis des Sehens.

Beide werden in diesen Wochen 60 Jahre alt, beide sind Stars ihres Fachs – und jenseits der Szene so gut wie unbekannt. Wer wüsste schon den Namen der Illustratorin zu sagen, die für den Carlsen Verlag die Einbände der deutschen Jugendbuchausgabe von „Harry Potter“ illustriert hat? Lange bevor der Schauspieler Daniel Radcliffe in der kollektiven Fantasie das Gesicht von J.K. Rowlings Hauptfigur besetzte, hat Wilharm den schlauen, bebrillten Kerl schon in ein paar entschlossene, fast abstrahierende Striche gefasst.

Hohe Anerkennung in Fachkreisen

Hohe Anerkennung in Fachkreisen und Namenlosigkeit in der Öffentlichkeit, dieses Paradox ist symptomatisch für das Ansehen der Disziplin. Hamburg ist Deutschlands Hauptstadt der Illustrationskunst. Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) und die Hochschule für Bildende Künste (HfBK) bilden die meisten Illustratoren aus; auch Bauer und Wilharm haben hier studiert. Viele Absolventen bleiben in der Stadt und schließen sich zu Ateliergemeinschaften zusammen. Zahlreiche Kinderbuchverlage sitzen in Hamburg, Carlsen und Oetinger sind die Flaggschiffe. Und dennoch scheint diese stille Kunst aus Politikersicht kein Pfund zu sein, mit dem sich für Hamburgs Image wuchern ließe.

„Illustrationskünstler werden zu wenig wahrgenommen“, sagt Klaus Humann, der in seinem kleinen, feinen Aladin Verlag soeben „Kann ich wohl!“ herausgebracht hat, geschrieben und gezeichnet von Sabine Wilharm. „Die Stadt muss endlich begreifen, dass Bilderbücher ein Mittel der Verständigung zwischen den Kulturen und der beste Einstieg ins Lesenlernen sind. Deswegen braucht eine Einrichtung wie das Kinderbuchhaus viel mehr Mittel, um genügend Ausstellungen auf die Beine stellen zu können.“

Wer das Hamburger Kinderbuchhaus in Altona kennt, kann sich eine Vorstellung von Bauers und Wilharms Wirkungsgrad machen. Wilharm hatte 2008 eine Einzelausstellung dort; zuletzt war sie bei „Paula und die Anderen“ vertreten. Und das Flaggschiff der laufenden Ausstellung, die dem Kinderbuchpreis Luchs gewidmet ist, ist Bauers „Königin der Farben“, die Fabel von der Herrscherin des Farbenreichs, deren Untertanen sich im Streit zu tristem Grau mischen. Die Königin muss sie entwirren, um ein Fest der Farbigkeit zu feiern.

Wie leichthin aufs Papier geworfen wirken die Konturen der Königin, als wäre die Illustratorin spontan einer Eingebung gefolgt. Weit gefehlt. Kunst ist es eben dann, wenn man die harte Arbeit hinter dem Werk nicht mehr sieht.

Wer käme bei Bauers Kult-Schaf „Selma“ auf die Idee, wie sehr sich dessen Schöpferin quält mit den so geistreich aufs Wesentliche reduzierten Entwürfen? „Wenn ich was Innovatives will, scheitere ich oft. Das wird dann kunstgewerblich. Ich wälze mich hin und her und produziere unendlichen Kitsch“, sagt Bauer beim Kaffee an ihrem Ateliertisch. „Und wenn dann der Termin näher rückt, dann denk ich, jetzt mach’s halt, wie du’s kannst. Dann bin ich plötzlich geerdet.“

Inspiration kann man nicht planen. Aber man kann ihr aufhelfen. Man kann beim Lesen eines Textes schon an den Rand kritzeln, was einem dazu einfällt. Und dank der Computertechnologie bleiben Glückstreffer wie Jutta Bauers Minizeichnung des „Bärbeiß“ zu Annette Pehnts gleichnamigem Kinderbuch erhalten: Mit Photoshop lässt sich auch eine Skizze sehr gut bearbeiten. „Wenn man sie mit der Hand nachzeichnet, kann man die Frische des ersten Zugriffs fast nie erhalten, es wird immer anders“, sagt Wilharm.

Digitalisierung erleichtert das Arbeiten

Für die Illustratoren scheint die Digitalisierung nur Vorteile zu bringen. Sie erleichtert das Arbeiten, sie liefert unerschöpflich viele Anregungen und erweitert die technischen Möglichkeiten und die Ausdrucksformen. Es ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, dass sich viele junge Illustrationskünstler von der darstellerischen Makellosigkeit eines Nikolaus Heidelbach (seine Märchen-Illustrationen haben auch außerhalb der Kinderbuchszene Aufsehen erregt) eher wegbewegen.

Ob verwischte Konturen oder verschobene Farbflächen, sie scheuen sich nicht vor dem Rauen, dem Unperfekten. Manche ihrer Altersgenossen haben mit den klassischen Techniken Erfolg. Torben Kuhlmann etwa hat für sein hochgelobtes Bilderbuch über die weltreisende Maus „Lindbergh“ ausschließlich mit der Hand gezeichnet und aquarelliert.

Kuhlmanns Lehrer Bernd Mölck-Tassel, einer von vier Professoren, die an der HAW Illustration lehren, will bei der nachwachsenden Generation keine bestimmten stilistischen Strömungen oder gar eine Hamburger Schule ausmachen. Er mache seinen Studenten keine Vorgaben. „Mir ist es wichtig, ein Klima zu schaffen, in dem Studenten ihre eigene Linie finden können.“

Zeichenkunst hat für sich genommen keinen festen Adressatenkreis. Den größten Absatzmarkt finden Illustratoren nach wie vor beim Kinderbuch. Aber mit der Graphic Novel hält die Zeichnung allmählich auch Einzug in die Erwachsenenliteratur. Künstler wie Tobias Krejtschi oder Jonas Lauströer wagen es, so düstere Themen wie den Konflikt zwischen Israel und Palästina oder die zunehmende Umweltzerstörung aufzugreifen. Und sie finden Verlage, die den Mut aufbringen, solche Bücher, die sehr wahrscheinlich keine Bestseller werden, ins Programm zu nehmen.

Häufig werden der Illustrationskunst für den deutschen Markt enge Fesseln angelegt. Die Bilder sollen bitteschön zu Anlässen wie Ostern oder Weihnachten passen und die Bildsprache muss möglichst das Kindchenschema bedienen. „Frankreich oder Japan sind viel interessantere Länder. Dort mutet man Kindern einen höheren Abstraktionsgrad zu. Bei Bilderbüchern geht es ja um visuelle Erziehung“, sagt Bernd Mölck-Tassel, der mit seinen Studenten regelmäßig zur Kinderbuchmesse nach Bologna reist, dem größten Branchentreff weltweit. „Aber inzwischen bewegt sich etwas in Deutschland. Es muss nicht immer nur niedlich und lustig sein.“

Wer weiß, vielleicht kann die Illustrationskunst ihren Geheimtippstatus ja doch irgendwann abstreifen.

Sabine Wilharm: „Kann ich wohl!“ Aladin Verlag, 32 S., ab 3 Jahren, 9,95 Euro

Annette Pehnt, Jutta Bauer: „Der Bärbeiß“ Hanser Verlag, 96 S., ab 8 Jahren, 10,- Euro