Kunsthistorikerin Esther Ruelfs entdeckt 75.000 Bilder. Sie spricht von einem „großen Schatz“: Die wertvolle Fotosammlung im Museum für Kunst und Gewerbe wird restauriert und neu präsentiert.

Hamburg. Neue Besen kehren gut, sagt ein altes Sprichwort. Im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) hat die Kunsthistorikerin Esther Ruelfs vor zwei Jahren als neue Kuratorin für Fotografie angefangen und erst mal die Ärmel hochgekrempelt. Statt sich, wenn sich schlüssige Fragen ergaben, von dem immer gleichen „Das geht nicht“ und „zu teuer“ gleich ins Bockshorn jagen zu lassen, beschloss sie, sich ein umfassendes Bild von der 75.000 Fotos umfassenden fotografischen Sammlung des Hauses zu machen, auch von Lagerung, Raumklima, Studienmöglichkeiten, Zustand, Schäden – alles schrieb sie zusammen zu einem umfassenden Bericht, um daraus einen konkreten Maßnahmenkatalog abzuleiten.

Damit diese historisch besonders wertvolle Sammlung, die auch im internationalen Vergleich Seltenheitswert besitzt, nicht weiter Schaden nimmt, hat das Haus mit Sabine Schulze als engagierter Direktorin an der Spitze jetzt große Anstrengungen unternommen, um im Kontakt mit der Reemtsma-, der Wüstenrot-Stiftung und der Kulturstiftung der Länder die Situation grundlegend zu verbessern. Das bundesweite Förder-Programm „Kunst auf Lager“ kam wie gerufen: „Unsere Fotosammlung ist ein großer Schatz. Es ist für uns deshalb ein großes Glück, endlich die Sammlung in Angriff nehmen zu können, denn sie ist, um sie erhalten zu können, viel zu eng gelagert, und die Erschließung leidet“, sagt Sabine Schulze.

Die Kunst- und Fotografiehistorikerin Esther Ruelfs ist eine erfahrene Museumsfrau und Kuratorin auf dem Feld der Fotografie. Sie kennt viele Depots aus eigener Anschauung, zum Beispiel am Essener Museum Folkwang, am Münchner Stadtmuseum, im Fotomuseum Winterthur oder im Dresdner Kupferstichkabinett. Sie weiß also, wo es anders und besser läuft und wie man solche Großprojekte anpacken muss, damit sie gelingen.

Eventuelle Schäden zu reparieren hieße, das Pferd von hinten aufzuzäumen: Fatal sei nämlich generell die Situation in dem auf vier Stellen im Haus verteilten Depot, wo die Fotos zwar alphabetisch geordnet seien, aber alle Formate übereinanderlägen. Das demonstriert Esther Ruelfs im klimatisierten Keller-Magazin. Die dortigen Schrankblöcke kann man zwar sogar verschieben. Innerhalb der Schränke und dazwischen ist aber viel zu wenig Platz, und die Übernahme interessanter Nachlässe, die dem Museum angeboten werden, muss deshalb regelmäßig abgesagt beziehungsweise verneint werden. Doch Sponsoren interessieren sich im Allgemeinen nicht für Raumnot, Schrankbedarf oder Klimaanlagen. Sie wollen meist etwas Repräsentatives unterstützen, von dem ein wenig Glanz abfällt. Auch Stiftungen fördern eher selten solche Maßnahmen im Hintergrund. Jetzt aber ziehen gleich drei an einem Strang und tragen gemeinsam dazu bei, dass die fotografische Sammlung des MKG größere, besser klimatisierte Räume mit entsprechend erweiterter Ausstattung bekommt und dass bestimmte Konvolute wie die 400 Daguerreotypien gründlich überarbeitet und bei Bedarf konserviert werden.

Diese bilden nämlich qualitativ und zahlenmäßig einen einzigartigen Bestand. Hinzu kommen 35 seltene Gummidrucke, die mit ihren Originalrahmen erhalten sind. Außerdem besitzt das Museum seit 1976 die bedeutende, systematische Sammlung, die der Kurator Fritz Kempe (1909–1988) in der Landesbildstelle zur Fotografiegeschichte angelegt hat: „Fritz Kempe hat unglaublich vieles umsonst von seinen Freunden bekommen“, erzählt Esther Ruelfs. Dazu gehören Fotos, die heute kaum noch bezahlbar sind.

Im Keller-Depot hat die Kuratorin einen seltenen Gummidruck auf einem Tuch ausgebreitet. Einer von dreien, die akut gefährdet sind. Der Rahmen wurde behutsam entfernt. Zwei Probleme gibt es mit dieser malerischen Landschaft, die Heinrich Kühn um 1897 als eine der ersten Farbfotografien aufgenommen hat: Die Rückseite aus holzhaltigem Karton dünstet Säure aus, die der Fotografie geschadet hat. Das Hauptproblem ist, dass sich die Pigmente ablösen: „Farbfotografie wurde in verschiedenen Schichten übereinander gedruckt. Abgelöste Stellen retuschiert man heute, damit das nicht mehr so auffällt. Es geht aber jetzt vor allen darum, lose Pigmente zu fixieren“, sagt Esther Ruelfs.

Die Lagerung muss ohne säurehaltige Schachteln und Plastiktüten gehen

Aufgaben wie diese werden inzwischen an externe Fachleute abgegeben, denn „auch Restauratoren haben in früheren Zeiten mit irgendwelchen Chemikalien schon ordentlich was zerstört. Das würde man heute nicht mehr so machen.“

Ganz banal klingt das, was laut Esther Ruelfs jetzt noch fehlt: die Lagerung ohne Plastiktüten, bessere, säurefreie Schachteln und Passepartouts. Das ist mit weiteren Ausgaben und mit sehr vielen Arbeitsstunden verbunden. Die Personalfrage aber scheint ein Tabu geworden zu sein. Doktoranden oder Studenten können wissenschaftlich einen kleinen Bereich kompensieren. Aber mehr Personal, um die vielen begleitenden Aufgaben zu erfüllen, wird es wohl auf absehbare Zeit nicht geben. Dabei wäre jetzt, was die Fotosammlung angeht, für das MKG der ideale Zeitpunkt, im Zuge des Umzugs und der Neusortierung die schon länger laufende Inventarisierung mit frischem Blut, das heißt mit mehr wichtigen Informationen zu jedem Foto zu füttern. Damit nicht die nächste Generation damit wieder von Neuem anfangen muss.