Das Klassik-Pop-Konzert „Night Of The Proms“ lockt 20.000 Hamburger an zwei Abenden in die O2 World. Das Finale gehört den italienischen Momenten: Zucchero zaubert Urlaubsstimmung.

Hamburg. Seit 30 Jahren gibt es mittlerweile die „Night Of The Proms“, jene von Belgien aus durch die Welt ziehende Klassik-Pop-Crossover-Show, die seit 2002 auch jährlich in der Hamburger O2 World Station macht, so auch am Freitag und Sonnabend. 20.000 Fans pilgern an den beiden Abenden in die Multifunktionsarena am Volkspark. Und irgendwann, das ist sicher, werden sich Pandemie-Forscher näher mit dem Phänomen dieser Veranstaltung beschäftigen. Dieses Jahr gastierten die Proms das erste Mal für vier Abende in den USA und verdienten sich einen Emmy (Kategorie: Entertainment Programm), nächstes Jahr werden es bereits 40Termine in Übersee sein.

Ja, das Konzept hat sich bewährt: Das aus Belgien stammende, aber international besetzte (eine Handvoll Musiker leben auch in Hamburg) Orchester Il Novecento, der Chor Fine Fleur und die Electric Band greifen in die bunte Klassik-Tüte von Dvorak über Verdi bis Orff, und zwischendurch stoßen Gaststars aus dem Pop-Segment dazu und singen ihre Hits mit Streichereinheiten garniert. Angesagte Chartsstürmer sind ebenso dabei wie Newcomer und Pop-Veteranen, die noch mal am Gnadenbrot eines Großarenen-Auftritts mümmeln dürfen. Aufgehende und verglühte Sterne. Letztes Jahr kamen Amy Macdonald, The Baseballs und Mark King von Level 42, auch Anastacia, Seal, Roxette, Joe Cocker, Meat Loaf und Simple Minds schmückten bereits die Plakate. Dieses Jahr gehören Katie Melua, Zucchero, Marlon Roudette und Madeline Juno zum Tross. Nicht gerade ein Hammerprogramm, aber nach Jahren der Zusammenarbeit mit Partnern aus der Mobilfunk- und Kreuzfahrtbranche müssen die Proms nun ohne finanziell potenten Sponsor auskommen, dafür gibt es aber auch keine Werbeeinblendungen auf den Großbildschirmen.

So beginnen die Proms in Hamburg zur Ouvertüre mit einem Paukenschlag, bei dem ein erschrecktes Zucken durch die dicht besetzten Sitzreihen geht. Aber Antonin Dvoraks Slawischer Tanz Nr. 1 wird gefällig hinterhergeschickt, die von Robert Groslot geleiteten Musiker sehen auf den Bildschirmen angestrengter aus als sie klingen. Schließlich stehen die Proms auch für E-Musik auf Unterhaltungsniveau. Nicht von ungefähr erlauben sich Ensemblemitglieder zwischendurch kleine Späße mit dem Publikum, damit ja keiner bei dem „Zigeunerchor“ aus Verdis „Troubadour“ wegdämmert. Und es macht auch Spaß, der attraktiven lettischen Akkordeon-Virtuosin Ksenija Sidorova beim Fingertanz über die Tasten zuzuschauen.

Dann ist Schwarzwaldmädel Madeline Juno mit „Feel You“, „Like Lovers Do“ und dem vom „Fack Ju Göthe“-Soundtrack bekannten „Error“ dran. Sympathisch ist sie ja, die 19 Jahre junge Sängerin, aber ihre atemlos überkippende Stimme, die irgendwie an Cher erinnert, ist im Saal noch nicht jedermanns Sache. Das Publikum sitzt sein Eintrittsgeld ab, hört nach dem „Slawischen Tanz“ auch noch einen „Slawischen Marsch“ von Tschaikowsky und applaudiert höflich.

Erst der Londoner Marlon Roudette, bis 2011 eine Hälfte des britischen Popduos Mattafix, schafft es mit seinem diesjährigen Nummer-eins-Hit „When The Beat Drops Out“ die Zuschauer aus den Sitzen zu hebeln. Die älteren Gäste klatschen im Takt und winken mit LED-Lichtern, die jüngeren tanzen. Die Songs „Anti Hero“ und „New Age“ lassen fast vergessen, dass da auch noch ein Orchester auf der Bühne ist. Aber es gehört eben dazu, genau wie John Miles, seit vielen Jahren bewegliches Inventar der Proms. Der britische Komponist läutet mit Queens „Bohemian Rhapsody“ und „Music“ die Pause ein.

Schon die erste Hälfte ist Proms pur. Es gibt keine erkennbare Dramaturgie oder Dynamik. Ein wenig hiervon, ein wenig davon. Für jeden ist etwas dabei, und es darf sogar getanzt werden. Aber nicht zu viel, bitte schön. Das muss auch eine Gruppe mittleren Alters aus Kiel erfahren. Sie wird vom Sicherheitspersonal bis vor die Tür in den Raucherbereich verfolgt und darauf hingewiesen, dass sich andere Gäste über die Ausgelassenheit der Gruppe beschwert haben. „Und trinken sie mal ein Wasser“, gibt es noch als wohlmeinenden Tipp dazu. „Na, das ist eben nicht die Pumpe hier“, sagt einer der Verwarnten resigniert. In dem Kieler Club geht es sicher weniger gediegen zu. Tatsächlich wäre es eine amüsante Vorstellung, am Freitag das Publikum der Proms und der Torfrock-Bagaluten-Wiehnacht in der Sporthalle zur jeweils anderen Veranstaltung zu schicken. „Carmen“ statt „Karola Petersen“ und umgekehrt – das wäre für viele Besucher wohl ein Kulturschock.

Die Minuten verstreichen mit Geigen, und Katie Melua hat ihre Viertelstunde. Die schöne Stimme der aus Georgien stammenden Londonerin setzt sich bei „The Closest Thing To Crazy“, „No Fears Of Heights“, dem rockigen „God On The Drums, Devil On The Bass“ und „NineMillion Bicycles“ gut gegen das Orchester durch, während der Chor bei „O Fortuna“ im Arena-Soundbrei versuppt. Schade, aber die O2World ist nun mal kein klassischer Konzertsaal.

Das Finale gehört den italienischen Momenten mit Zucchero, der optischen Kreuzung aus Joe Cocker und Bob Dylan. Gleich sechs Beiträge werden ihm zugestanden, darunter „Senza Una Donna“ und das virtuelle Duett „Miserere“ mit Luciano Pavarotti. Hier treffen Italo-Pop, Reibeisen-Rock, Urlaubsstimmung, Opern-Drama und Orchester-Wumms aufeinander, also alles, was die „Night Of The Proms“ so beliebt macht. Und als der Abend nach zweieinhalb Stunden Programm mit einem gemeinsamen „Let It Be“ der Beatles endet, stellen sich schon die ersten an den provisorisch eingerichteten Vorverkaufsschaltern an. Sie sehen sich wieder. Nächstes Jahr. Und übernächstes Jahr.