Die Mezzosopranistin Tara Erraught singt acht Rossini-Vorstellungen an der Staatsoper

Hamburg. Die Aussprachehilfe im Deutschen, die ihr mal jemand für ihren seltenen gälischen Nachnamen empfahl, funktioniert eigentlich ganz gut: „Er rockt“, soll man sagen, dann käme man der Sache schon ziemlich nahe. Man muss allerdings versuchen, die beiden Rs wie der Teufel im Mund herumzurollen, ehe man sie ausspuckt, und dem O muss etwas würgend Kehliges beigemischt sein, sonst klingt es nicht irisch. Aber wer diesem Energie- und Freudenbündel namens Tara Erraught gegenübersitzt, der spürt: Er rockt – das geht irgendwie nicht. Wenn schon, dann müsste es heißen: Sie rockt.

Denn das tut sie, diese Tara Erraught. Sie rockt. Andererseits ist auch das nur die halbe Wahrheit. Denn rocken, das klingt nach Asphalt und Dreck, nach Feedbacks, Rumpelschlagzeug und E-Gitarren. Mit all dem hat die 1986 in Dundalk nahe der Irischen See geborene Frau nichts zu tun. Dass sie Opernsängerin geworden ist, noch dazu eine, von der viele sagen, die Zukunft gehöre ihr, daran ist zwar genau genommen Neil Diamond schuld. Aber der ist ja kein echter Rocker. Und von Tara Erraughts Gesang hat er wahrscheinlich noch nie etwas gehört.

Wie kann er dann schuld sein an ihrer Berufsentscheidung, fragen Sie jetzt. Bisschen kompliziert, aber am Ende sonnenklar. Weil Brianain und Joe Erraught, die Eltern von Tara, beide gelernte Köche sind, begab es sich in den frühen 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, dass Neil Diamond, wenn er auf Konzertreise in Irland war, die Dienste der Erraughts als Tourköche in Anspruch nahm. Tara, die älteste der drei Erraught-Kinder, verknallte sich bis über beide Ohren in Diamonds Songs. Sie beteuert, sie habe als Achtjährige sein damaliges Repertoire vollständig, Note für Note, Zeile für Zeile, nachsingen können. Ihrer Großmutter machte das Sorgen; was soll aus dem Kind werden, bei den Texten von Neil Diamond?

Heimlich, still und leise schleuste sie ihre Enkelin eines Donnerstags in die nahe gelegene Stadt zu einer Gesangslehrerin. Die Verschwiegenheit schien ihr notwendig, denn Tara ging bereits zum Irischen Tanz, zum Fußball, zum Klavier und zur Geigenstunde. Jetzt auch noch singen, das hätte den Eltern vielleicht nicht gefallen. „Aber nach sechs Wochen Unterricht hatte ich schon meinen ersten Gesangswettbewerb gewonnen“, erzählt Tara Erraught. „Und ich fühlte mich dabei ungefähr 600 Prozent besser als bei den Geigenvorspielen, die ich davor schon gemacht hatte.“

Die Lehrerin ließ sie lauter gälische Folksongs singen. Und sie muss eine großartige Pädagogin gewesen sein, denn sie sagte ihrer kleinen Schülerin: „Mach dir keine Sorgen um die richtigen Töne. Das ist nicht so wichtig, das kommt schon. Das Einzige, worauf du immer achten musst: Erzähl die Geschichte!“ Und so hat Tara Erraught es bis heute gehalten. Ihre Mezzosopran-Rollen – ob als Humperdincks Hänsel, als Rossinis Angelina, als Mozarts Sesto oder als Strauss’ Octavian – erweckt sie auf derart plastische Weise zum Leben, dass die Oper ein Stück jener Authentizität (zurück-)gewinnt, die man der ganzen Gattung mit vielen guten Gründen absprechen kann. Singen als einzige vokale Äußerung in allen Lebenslagen ist der verhaltenstypische Sonderfall des Menschen; selbst auf der Bühne bleibt ihm scheinbar untilgbar fundamentale Künstlichkeit eingeschrieben. Tara Erraught macht dies Artifizielle dadurch vergessen, dass sie jede ihrer Rollen verkörpert wie ein heißes, dampfendes Stück Leben. Ungeachtet aller Tücken der Koloratur, der Melodieführung, des Stimmansatzes oder des Atemholens zur rechten Zeit verströmt ihr Gesang so viel Natürlichkeit, dass man am Ende glaubt, es sei für Menschen das einzig Richtige, all ihre emotionalen Zustände singend auszuleben.

Von kommendem Montag an ist Tara Erraught bei acht Opernvorstellungen in Hamburg zu erleben: Viermal singt sie die Rosina in Gioacchino Rossinis komischer Oper „Il Barbiere di Sevilla“, viermal die Angelina in seiner „Cenerentola“. Es ist nicht Erraughts Debüt in dieser Stadt; bei der „Cenerentola“, eine ihrer Paraderollen, sprang sie schon einmal an der Staatsoper ein.

Wer an Irland und Musik denkt, der kommt auf viel Großartiges – nur nicht auf Klassik. Das Land hat kein einziges Opernhaus; nur die im äußersten Südosten der Insel gelegene Stadt Wexford hält mit ihrem Festival im Frühherbst die Opernfahne hoch – meist kommen Fans aus dem Ausland. Die einzige Musikhochschule Irlands, die Royal Irish Academy of Music in Dublin, nimmt pro Jahrgang ganze acht Klassik-Studenten auf, davon zwei in Gesang.

Dass sie da dringend hingehört, wusste Tara Erraught nach einem Familienurlaub in Italien. Sie war 13, die Eltern schleppten sie und die kleinen Geschwister in die Arena von Verona. Dort wurde „Aida“ gegeben. „Als die Ouvertüre vorbei war, wusste ich: Das will ich machen und nichts anderes.“ Die Gesangslehrerin daheim war überfordert. Sie konnte keine Sprachen außer Gälisch und Englisch, Oper war ihr Hekuba. Phonetisch von einer in der Nachbarschaft lebenden Deutschen instruiert, sang Erraught bald Lieder von Schubert, später Arien aus Operetten. Nach dem Schulabschluss ging sie auf die Academy nach Dublin und zog bald bei ihrer Lehrerin Veronica Dunne ein. „Wir haben jeden Tag um 7 Uhr früh mit den Aufwärmübungen angefangen“, erzählt sie. „Ich habe bei ihr innerhalb eines Jahres das gelernt, wofür ich anderswo sechs Jahre gebraucht hätte.“

Schon auf einem Jugendfoto hält Tara Erraught Wettbewerbspokale im Dutzend im Arm wie ein Kind seine Plüschtiersammlung. Das erste Wettsingen, das sie außer Landes führte, stellte sogleich die Weichen für ihre Zukunft. 2008, mit noch 19 Jahren, sang sie beim Belvedere-Wettbewerb in Wien vor. Talentsucher der Bayerischen Staatsoper waren da und ließen Erraughts Rückflugticket nach Dublin verfallen, denn sie nahmen das junge Top-Talent gleich nach München mit und sorgten dafür, dass es ins dortige Opernstudio aufgenommen wurde. Im Anschluss bot ihr die Bayerische Staatsoper einen Ensemblevertrag. Und da singt sie bis heute, froh und glücklich.

Im vergangenen Mai aber ereignete sich etwas sehr Hässliches wie sehr Karriereförderndes für Erraught. Sie debütierte beim berühmten Glyndebourne Festival in England als Octavian im „Rosenkavalier“, und nach der Premiere attestierten ihr gleich fünf männliche britische Rezensenten unschmeichelhaft, sie sei für die Hosenrolle des jugendlichen Liebhabers der Marschallin entschieden zu speckig. Die Qualität ihres Gesangs stand bei keinem der Kritiker infrage, wenn auch bei einem das Lob in einen Nebensatz weggedrückt wurde.

Zwei Tage nach der Premiere war die nächste Vorstellung. Erraught erzählt, sie habe bis dahin keine der Kritiken gelesen, ihre Garderobe aber habe sie kaum betreten können: so viele Blumen, so viele Geschenke! Dazu kam in den folgenden Tagen massenweise Mitfühlendes und Aufmunterndes von ihren fünfeinhalbtausend Facebook-Freunden, es hagelte Heiratsanträge, bedeutende Sängerinnen aus aller Welt gaben Solidaritätsadressen ab.

Natürlich stärkte ihr auch die Familie den Rücken. Sie reist zum Jahreswechsel auch komplett nach Hamburg, Tara auf der Bühne gucken. Für Vater Joe hat sein Opernkind eine Überraschung parat: eine Hafenrundfahrt. Koch hat er nämlich einst in Hamburg gelernt, im Interconti. Und fand damals nie Zeit für die Tour auf der Elbe.

Nächste Termine: Staatsoper 22., 26., 30.12. + 1.1.