Aber wo bleibt das Gefühl? Der Pianist Igor Levit gastiert in der Laeiszhalle hochvirtuos, doch manchmal ein wenig kühl

Hamburg. Einem Komponisten wie Beethoven, der sich fast mit jedem seiner Werke dem klingenden Erbe der Menschheit eingeschrieben hat, kann man sich von vielen Seiten nähern. Besonders beliebt: Beethoven, der Tragische, der Romantiker, der mit den Schicksalsschlägen, wie man sie vom Beginn der Fünften Sinfonie kennt.

Der immer noch junge und mittlerweile weltberühmte Pianist Igor Levit hat offenkundig einen anderen Blickwinkel auf Beethoven eingenommen. Drei Sonaten, die das Grundgerüst des Programms von Levits Konzert in der Laeiszhalle bildeten, einte unter seinen Händen ein Zug ins Kristalline.

Zwischen der Entstehung der Sonaten F-Dur op. 54, mit der der Abend begann, und D-Dur op. 28 liegen nur drei Jahre. Was Levit mit feinsten Gerätschaften an Unterschieden herausmeißelte, lässt sich aber nicht simpel mit einem kompositorischen Dazulernen erklären. Beethoven hat sich einfach in Welten bewegt, die ihm längst und mühelos zur Verfügung standen: Hier die raffinierte Sprödigkeit der zweisätzigen Sonate F-Dur, und dort die Sonate D-Dur, in deren kammermusikalischen Winkeln Levit manches Naturbild zutage förderte.

Das alles war mit viel Überblick und Verständnis vorgetragen, hochvirtuos sowieso – und trotzdem blieb es merkwürdig kühl ums Herz. Eins steht mal fest: Levit kann vieles, aber Kitsch kann er nicht. Und ein bisschen Sentiment wäre manchmal doch ganz nett. Auch bei Beethoven. Freilich weiß niemand, wie sehr den Künstler das peinliche, ja respektlose Geräuschaufkommen daran gehindert haben mag, mehr Persönliches in sein Spiel zu legen; ein paar falsche Töne dürften ebenfalls auf das Konto der anhaltenden Unruhe im Saal gehen.

Bachs Partita a-Moll BWV 827, die zwischen den beiden Sonaten erklang, war genuin pianistisch gedacht, ebenmäßig und weich und ein wenig flach. Was ein bisschen schade ist, wenn man einmal erlebt hat, mit welchem Zeitgespür Levit in Cembalomanier Akkorde aufblühen lassen und wie lebendig er innerhalb eines Melodieverlaufs eine Zweistimmigkeit herstellen kann.

Die zweite Konzerthälfte geriet ihm kohärenter. Ferruccio Busonis „Fantasia nach J.S. Bach“ entfaltete er zu einem Klangreigen in einer ganz eigenen Tonsprache, vom somnambulen Beginn bis zu einem wahren Triumphausbruch, letzterer jahreszeitlich passend auf den Choral „In dulci jubilo“.

Von dort leitete er ohne Pause über zur Sonate c-Moll op. 111. Bei Beethovens letzter Klaviersonate überhaupt, einem pianistischen wie intellektuellen Prüfstein par excellence, wagte sich Levit tief in die Klüfte, die dieser Musik zwischen apokalyptischem Toben und schlichtem Gesang so etwas Bekenntnishaftes verleihen. Welche Klangfarben entlockte er dem Flügel allein bei den endlosen Phrasen der Arietta! Das Wort „Kantilene“ wäre hier viel zu banal. Diese musikalischen Bögen wiesen unmittelbar in den Himmel. Wer braucht da noch Romantik?