Ein Wutausbruch von Verena Fischer-Zernin

Da betritt ein Mensch die Bühne, ein einzelner Mensch. Gleich wird Igor Levit sich fast 2000 Zuhörern mit seiner Kunst ausliefern. Er verbeugt sich, setzt sich ans Klavier, hebt die Hände für einen Piano-Einsatz – nur wird es leider nicht still im Saal. Einen geschlagenen Sonatensatz brauchen die Leute, um noch rasch ihre Nachbarn zu begrüßen, in ihren Sitzen die richtige Position zu finden, den Hals freizuräuspern, das Programmheft in Form zu bringen, das Hörrohr fallen zu lassen und wieder aufzuheben, wobei der Klappsitz gegen die Lehne schnellt. Die Dame in Reihe drei, die sich nach dem ersten Stück zu ihrem Sitz vorkämpft, stört sich mitnichten daran, dass der Künstler gar nicht abgetreten ist, sondern ersichtlich den Spannungsbogen halten wollte. Ein Klangteppich aus verschiedensten Hustenlauten untermalt das ganze Konzert. Und all das wie unter der Lupe vergrößert in der feinen Akustik der Laeiszhalle.

Man könnte an dieser Stelle aber auch Thalia Theater oder Schauspielhaus schreiben und den Pianisten durch einen Schauspieler ersetzen, es wäre das Gleiche. Schon klar, es ist Herbst, draußen regnet es, da schlagen die Viren zu. Aber das entschuldigt nicht die Respektlosigkeit, die sich in den nicht erkältungsbedingten Geräuschen zeigt. Und bei Erkältung einfach zu Hause bleiben? Weit überschätzt, solche Benimmregeln, wenn nicht antiquiert! Da wären ja die Kosten für die Eintrittskarte umsonst gewesen.