Entertainer-Legende Udo Jürgens schaffte es in der O2 World mal wieder, ein eigentlich ganz normales Konzert zum großen Ereignis zu machen

Hamburg. So, so, Udo Jürgens will noch niemals in New York gewesen sein? Der Einspielfilm „Die Welt braucht Lieder“ zum Konzertbeginn am Sonnabend in der O2World fliegt jedenfalls die vielen Stationen seiner Karriere ab, und auch New York ist dabei. Klar war er schon da, der Schlingel aus Klagenfurt. Das Intro endet mit dem Schwenk auf Hamburg, und Udo Jürgens kommt unter dem tosenden Applaus von 10.000 Fans auf die Bühne.

Er selber weiß nicht mehr, wie oft er in den vergangenen fünf Jahrzehnten in der Hansestadt aufgetreten ist. Nahezu 150-mal, schätzt er. Und es werden noch einige Male dazukommen, das nächste Konzert ist für den 24. Februar gebucht. Wenn das Leben mit 66 Jahren beginnt, dann steht man schließlich mit 80 Jahren mitten im Leben. „Alles aus Liebe“, „Was ich gern wär für dich“ und „Das Leben bist du“ eröffnen romantisch den Abend. Das Publikum im bestuhlten Saal blickt gebannt auf die riesige HD-Leinwand und sucht eine Falte im Gesicht des gereiften Entertainers oder tuschelt über die Echos, die der vom Orchester Pepe Lienhard ausgerollte Klangteppich in der Arena verursacht. „Das. Das. Leben. Leben. Bist. Bist. Du. Du“, wird es von den Rängen zurückgeworfen. Geduld ist gefragt, bis der Mischer das später nachregelt. Aber Geduld bringen die Fans, die auch am Sonnabend wieder aus allen Altersschichten zwischen sechs und 86 Jahren kommen, seit jeher mit zu den Konzerten von Udo Jürgens.

Ich war noch niemals mit 66 Jahren auf einen griechischen Wein in einem ehrenwerten Sahnehaus in New York – die immer noch so unzerstörbaren wie populären Schunkel- und Mitsing-Hits, hebt sich Jürgens für die zweite Halbzeit auf: „Die kommen ja sowieso“, verspricht er schon beinah entschuldigend.

Denn weiterhin gibt es auch neue Lieder, neue Klänge und auch alte Raritäten, die es ausführlich anzukündigen, zu erklären und live zu präsentieren gilt. Im Februar erschien sein 42. Studioalbum „Mitten im Leben“, das bei allem unterhaltsamen Schmelz auch kritische Töne auf der Klaviatur des Lebens spielt. „Der Mann ist das Problem“ wildert textlich in Grönemeyers „Männer“-Revier, und „Der gläserne Mensch“ warnt vor den Gefahren einer gegenüber „BND-NSA“ zu naiven Öffentlichkeit: „Die Welt im Apple- und iPhone-Wahn, und Rechner wissen mehr als wir. Sie sind gnadenlos auf der Datenspur, wo du auch bist, sie folgen dir“, singt Jürgens und wird auf der Leinwand als potenzielles Drohnenziel inszeniert. Das Orchester lässt dazu satte 007-Bläserfanfaren nebst rockigem Gitarrensolo los.

Das könnte mit etwas mehr Schwung ein Bond-Titelsong sein, aber Pepe Lienhards Truppe lässt es doch noch sehr zurückhaltend angehen, etwa wenn Jürgens mit Sängerin Dorothea Lorene („So eine Stimme kommt nicht aus Wuppertal, sondern aus New York“) das Duett „Ich will, ich kann – I Can, I Will“ schmettert. Ein James Last, der am 26. März in die O2 World kommt, würde jetzt vielleicht energisch in die Finger schnipsen und mit strengem Blick mehr Einsatz fordern. Aber wie gesagt: nur Geduld. Das wird noch.

Nach der Pause spielt das Ensemble bei „Hautnah“ und „Ich würd’ es wieder tun“ noch wie im Hollywood-Softsex-Soundtrack. Frivol schmachtendes Saxofon und seufzende Streicher wecken Bilder von in kompletter Unterwäsche umschlungenen Liebenden unter seidigen Bettlaken, eingefangen von einer Weichzeichner-Kamera.

„Ich hab' bewusst so manche Illusion zerstört, und manchen Rat, der gut gemeint war, überhört. Doch ich hab' nie den Mantel nach dem Wind gehängt. Ich hab' geliebt und mich doch niemals aufgedrängt. Was auch geschah, und ging es mir auch noch so nah: Ich würd' es wieder und immer wieder tun“, schwört Jürgens dazu. Seine Antwort auf „My Way“.

Es gibt nichts, was er nicht schon erlebt hat. Öffentliche Erfolge und private Krisen, harsche Kritik und überzogener Jubel. Na und? „Immer wieder geht die Sonne auf“, mit dieser Gewissheit hat sich Udo Jürgens durch das Leben geliebt, gelitten und gespielt. Er hat weder den Mantel nach dem Wind noch den Bademantel an den Nagel gehängt.

Und so funktioniert es eben auch beim 151. oder 183. Konzert in Hamburg: „Griechischer Wein“, „Ich war noch niemals in New York“, „Ein ehrenwertes Haus“, „Aber bitte mit Sahne“ und „Mit 66 Jahren“ hebeln die Fans in schneller Folge aus den Sitzen, alles steht, das Orchester fetzt auf vollen Touren. „Als wenn man einen Schalter umgelegt hat“, staunt die Sitznachbarin, die offensichtlich das erste Mal ein Udo-Jürgens-Konzert besucht. Ja, der Energieschub, der bei den großen Hits durch die Stuhlreihen fährt, ist doch immer wieder die vorher aufzubringende Geduld wert.

Und so steht Udo Jürgens auch auf seiner 25. Tournee bei „Cottonfields“ im Bademantel auf der Bühne und verlässt sie in Jeans und Hemd nach 130Minuten Spielzeit um zehn vor elf – zeitlich nicht ganz exakt passend – mit „Zehn nach elf“. Eigentlich ist es wie immer: beste Unterhaltung, kritische Untertöne, berührende Lieder und irgendwann der Druck auf die Party-Taste. Und doch bleibt der Eindruck eines einmaligen Abends.

Als wäre er tatsächlich noch niemals in New York gewesen. Geschweige denn Hamburg.