Ian Anderson spielt Flöte besser denn je, singt aber schlechter

Hamburg. Wenn Ian Anderson, der Querflöte blasende Pate und Hohepriester der 1967 gegründeten britischen Rockband Jethro Tull, von „Schnipseln“ eines neuen Albums spricht, die man soeben gehört habe, so liefert er damit nur einen weiteren Beweis für seine Neigung zu sehr selbstbewusstem Understatement.

Besagte Schnipsel des Werks „Homo Erraticus“, die das Entree seines Konzerts am Donnerstag im CCH bildeten, boten ein Feuerwerk an artistischem, ehrgeizigem „Folk-Prog-Metal“, wie Anderson selbst den Stil zutreffend beschreibt, an visuellem Zeichensalat, der auf eine Leinwand hinter der Bühne projiziert wurde, und an britisch-verschrobene Schauspielereien. Das Ganze dauerte ziemlich atemberaubende 45 Minuten.

Den größeren Teil seines zweistündigen Konzerts widmete Anderson, 67, dann einem höchst subjektiven Best-of aus nahezu 50 Jahren Tull-Geschichte. Darunter „Too Old To Rock’n’Roll, Too Young To Die“, „Bourée“, „Aqualung“, „Songs From The Wood“, ein Exzerpt aus dem genialen, seinerzeit bei Publikum und Kritik jedoch miserabel weggekommenen „A Passion Play“, „Living In The Past“ und schließlich, als Zugabe, „Locomotive Breath“: Von der Songauswahl her lachte das Fan-Herz. Die wie früher Jethro Tull mit Keyboards, Gitarre, Bass und Schlagzeug besetzte Band klang wie Jethro Tull und pflügte sich beeindruckend souverän durch die oft krummtaktigen, mit vielen kleinen Extramelodien versehenen und von Tempovariationen und dynamischen Kontrasten durchzogenen Songs.

Neben schrathaftem Umherstaksen auf der Bühne kultiviert Ian Anderson weiterhin das einbeinige Flötenspiel, ein Anblick, der mit den Jahrzehnten an Eleganz, vor allem aber an (ohnehin stets eher zweifelhaftem) SexAppeal deutlich eingebüßt hat. Doch Flöte spielt er besser denn je. Dafür singt er leider schlechter denn je, und das war das einzige große Manko des ansonsten sehr vergnüglichen Abends, für den der Veranstalter allzu optimistisch den Saal 1 gebucht hatte. Intonation, auch Phrasierungskunst und Leichtigkeit des Tavernensängers, die ihm früher eigneten, haben sich komplett verflüchtigt. Dabei gehört mit Ryan O’Donnell ein guter junger Sänger zur Band. Beinahe tragisch, wie wenig Anderson ihn zum Zuge kommen ließ. Und nachfühlbar – die Eifersucht des Alters auf die Jugend.