Neben der Operetten-Spielstätte im Engelsaal will Intendant Karl-Heinz Wellerdiek eine Volkstheater-Bühne eröffnen

Hamburg. Es ist doch ein Jammer, findet Karl-Heinz Wellerdiek: Den Kopf in den Nacken geworfen, blickt er hinauf, dorthin, wo die Kulissen für seine Engelsaal-Operetten gelagert werden. Darüber wölben sich die eleganten, stuckverzierten Nischen der ehemaligen Logen des Hamburger Unions-Saals. Ein komplettes Theater liegt nämlich auf derselben Etage wie der Engelsaal und scheint nur darauf zu warten, wieder wachgeküsst zu werden, befreit von absurden Wänden und Zwischenböden. „Es hat mich immer gewurmt, dass man mit diesem 15 Meter hohen Raum, der eine so tolle Atmosphäre hat, nix anfangen kann“, sagt der Theaterdirektor.

An seinem neuen Traum vom zweiten Theater auf derselben Etage bastelt der Intendant von Hamburgs einzigem Operettenhaus am Valentinskamp schon seit zwei Jahren. In aller Ruhe hat er zugesehen, wie im Erdgeschoss zuerst die Disco wieder zumachte, dann die diversen Restaurants. Die Räume stehen leer, niemand will sie offenbar mieten. Also sieht Wellerdiek sich gestärkt in seiner Idee, die ihn ja schon lange umtreibt: Operette und Volkstheater unter einem Dach zu vereinen.

Davon ist er nicht mehr so weit entfernt, wie man denken könnte: Für die Deckung der Umbaukosten hat der Impresario eine Genossenschaft gegründet, mehr als die Hälfte des Geldes ist mittlerweile beisammen. Mit der schlauen Idee, zwei Theater mit annähernd derselben Mannschaft, nicht nennenswert höheren Mietkosten auf derselben Etage zu betreiben, wird der Fachmann der leichten Muse die fehlende Summe höchstwahrscheinlich noch auftreiben. Er knüpft damit an die Geschichte des Hauses an, das ja im 19. Jahrhundert schon einmal ein Volkstheater gewesen ist, betrieben von der Witwe Hanje, die hierfür 1809 die Genehmigung vor Gericht erstritten hatte.

Immer mal wieder hat es im Engelsaal erfolgreiche Ausflüge in Volkstheater-Gefilde gegeben: Wellerdieks selbst verfasste Schmonzette „Oma Krögers Bismarckhering“ zum Beispiel oder die zu Herzen gehende „Zitronenjette“. In dieser Woche also, als Appetithappen für die begeisterten Anteilseigner des künftigen Volkstheaters, feierte das beliebte Lustspiel „Meister Anecker“ Premiere. Im Ohnsorg-Theater hatte Henry Vahl bis in die 60er-Jahre hinein in der Rolle des faulen Schustergesellen Mattes Theatergeschichte geschrieben.

Ihn zu kopieren hat also gar keinen Sinn, weiß Wellerdiek, „zumal ich nicht dieselbe Sorte Komiker bin. Im Originalbuch von August Lähn haben die Figuren aber so viele Facetten, dass daraus ganz andere Persönlichkeiten geworden sind. Bei uns wird das Stück fast ein bisschen loriotesk.“

Überhaupt müsse man diese Stücke anders machen als in den 60ern, als man solche Figuren „immer mit diesem Moment zu viel“ gespielt habe. Ähnlich sei es früher in der Operette gewesen, auch die „kann man heute nicht mehr so machen“. Das neue Hamburger Volkstheater „wollen wir als ernst zu nehmendes Theater etablieren und nicht als Schenkelklopfer. Dieses ‚Witz komm raus, Du bist umzingelt‘ braucht heute kein Mensch mehr“.

Dennoch hat Wellerdiek ein genaues Gefühl dafür, wo die Grenze der Modernisierung liegt: „Wir versuchen, unsere Arbeit mit Ernst und Liebe zu machen. Mit der Operette haben wir ja in Hamburg ein Genre wieder belebt, das es nicht mehr gab. Unsere Stücke lassen wir in der Originalzeit spielen, nur schneller und akzentuierter. Wir fühlen uns weiterhin zuständig für die leichte Muse. Die Leute sollen fröhlich aus unserem Theater kommen. Und auch unser Volkstheater soll witzig sein, Spaß machen und Niveau haben, denn die Leute sollen bei uns einen schönen Abend verbringen.“

Der Erfolg gibt ihm recht: Der Engelsaal erreicht mit seinen 120 Plätzen die traumhafte Platzausnutzungsquote von 90 Prozent, der Swing-Abend „Rat Pack“ sogar 95 Prozent. Für andere Produktionen wie den melancholischen Georg-Kreisler-Abend „Lola Blau“ bekam das Theater zwar den Rolf-Mares-Preis, er ist aber nicht so beliebt, während „Maske in Blau“ schon 212-mal über die Bretter ging. „Die Leute haben eine Wiedererkennungssehnsucht“ – so erklärt sich Wellerdiek die Zuschauervorlieben.

Sein Haus entlässt die Besucher mit einem Lächeln auf dem Gesicht, außerdem sind die Kartenpreise moderat und das gastronomische Angebot nebst Käseigel solide und nicht knickrig. Auch der neue Saal wird rund 120 Plätze haben. Aus den drei Volkstheater-Klassikern, für die sich der Theaterdirektor die Rechte gesichert hat, haben die Anteilseigner der Genossenschaft ihr liebstes ausgewählt: „Meister Anecker“ macht also den Anfang, gefolgt von „Das Hörrohr“ und „Opa wird verkauft“. Und das nicht auf Plattdeutsch, wie im Ohnsorg-Theater, sondern auf Missingsch.

„Meister Anecker“ am 2., 3., 9., 16. und 17.12., Engelsaal, Valentinskamp 40–42. U Gänsemarkt. Karten (18–30 Euro zzg. Gebühren): 319 747699