Ein leiser Beobachter, ein stiller Schatten: Kaum ein anderer ist den deutschen Staatsoberhäuptern Johannes Rau, Horst Köhler und Joachim Gauck so nah gekommen wie der Hamburger Fotograf Christian Irrgang

Er hat mit Johannes Rau Skat gespielt und sich neben Horst Köhler auf einer Berghütte die Zähne geputzt. Mit Joachim Gauck hat er Krawatten ausgesucht und ist einen Schlag gesegelt. Christian Irrgang war ein leiser Beobachter, ein stiller Schatten der drei bundesdeutschen Staatsoberhäupter. Der Fotograf aus Volksdorf ist der Hamburger, der den Bundespräsidenten am nächsten kam.

Präsidialer Lichtbildner wurde Irrgang eher zufällig. „Nach dem Abitur am Walddörfer-Gymnasium und Zivildienst habe ich eine Fotografen-Ausbildung am Lette-Verein in Berlin gemacht“, erzählt der heute 57-Jährige. Zwischendurch jobbte er immer wieder im Schlosshotel Elmau, wo er als Kind mit seinen Eltern einige Male Urlaub gemacht hatte. „Dort lernte ich Johannes Rau kennen, der dort in Oberbayern Stammgast war.“

1992 sah Irrgang Johannes Rau dienstlich wieder. Der erinnerte sich sofort an den jungen Aushilfskellner aus Elmau und ließ ihn mit der Kamera eng an sich heran. Christian Irrgang machte zahlreiche Bilder des damaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Der „Stern“ kaufte die Fotos und bestimmte Irrgang so zum Rau-Beauftragten der Illustrierten. Regelmäßig war der Hamburger mit dem SPD-Politiker unterwegs, besuchte ihn im Urlaubsdomizil auf Spiekeroog, begleitete ihn nach Israel. „Johannes Rau war sehr zugewandt, ein Menschenfänger, wenn er Witze erzählte oder Skat spielte.“

Als „Bruder Johannes“ 1999 Bundespräsident wurde, lag es nahe, dass Christian Irrgang einen Bildband über das bundesdeutsche Staatsoberhaupt erstellen würde. Für „Johannes Rau: Porträt eines Präsidenten“, 2002 erschienen im Propyläen Verlag, wählte er 112 Schwarz-Weiß-Fotos aus, „alle selbst entwickelt und vergrößert“. Der Journalist Martin E. Süskind schrieb einen einleitenden Essay.

Dieses Buch war das Entree ins Bundespräsidialamt. Auch Raus Nachfolger Horst Köhler bot sich für ein opulentes Porträt an. „Köhler hatte ich schon im Frühjahr 2004 vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten kennengelernt. Damals war er noch Direktor des Internationalen Währungsfonds in Washington.“ Für dieses 162 Fotos umfassende Buch „Horst Köhler. Der Mensch, der Präsident“ aus der Edition Braus begleitete Irrgang das Staatsoberhaupt zwischen Herbst 2005 und Herbst 2006. Der Hamburger fuhr mit dem Bundespräsidenten nach Afrika und hielt mit der Leica Köhlers Erschöpfung nach einer Ordensverleihung an 47 Frauen und Männer im Schloss Bellevue fest. Irrgang durfte das Ehepaar Köhler in der Berliner Privatwohnung besuchen und die Hochzeit des Sohnes fotografieren. „Köhler war neugierig, offen und sehr interessiert. Er suchte die direkte Kommunikation und hat sehr viel Ahnung von Kunst.“

In Stil und Methode orientiert sich Irrgang an den amerikanischen White-House-Fotografen, die in großen und authentischen Bildern ihre Präsidenten zeigen. Dies gelingt aber nur, wenn das Gegenüber dem Fotografen vertraut und Nähe zulässt. „Ich wollte so unauffällig wie möglich arbeiten“, sagt der Hamburger. „Deshalb habe ich auch nie Blitzlicht benutzt.“

Für ein Buch über Christian Wulff reichte die Zeit nicht. Außerdem hatte Christian Irrgang im Sommer 2010 ein eigenes Projekt und segelte mit einem Folkeboot auf der Ostsee von Rügen über Polen, Lettland, Estland, Finnland, Schweden und Dänemark zurück nach Rügen. Darüber hat er sein Buch „Ostsee linksherum“, erschienen im Verlag Delius Klasing, geschrieben.

Apropos Segeln: Die gemeinsame Bewegung auf dem Wasser sorgte für die größte Nähe zwischen dem amtierenden Staatsoberhaupt Joachim Gauck und dem Fotografen. Denn auch den Pastor aus Rostock wollte der Hamburger porträtieren. Als Türöffner wirkten seine beiden vorhergehenden Bildbände und wiederum eine Reportage für den „Stern“.

Rund zwei Jahre hat Christian Irrgang am „Bürger Gauck. Unterwegs mit einem unbequemen Präsidenten“ aus dem Verlag Edel Books gearbeitet. Als Sponsor für das 204 Fotos umfassende Buch engagierte sich wie schon beim Köhler-Band die Hamburger HanseMerkur Versicherungsgruppe. Und der gemeinsame Törn auf dem Saaler Bodden etwa 30 Kilometer nordöstlich von Rostock war im vergangenen Mai der letzte gemeinsame Termin der beiden Norddeutschen. „So dicht bei Joachim Gauck bin ich in der ganzen Zeit nicht gewesen“, sagt Irrgang. „Der Bundespräsident war gelöst und entspannt. Er hatte sichtbar Spaß an diesem Termin.“

Hat er in den zwei Jahren Begleitung Veränderungen bei Gauck, wie Johannes Rau ein wortgewaltiger Prediger und Menschenfänger, festgestellt? „Am Anfang war er unsicher und manchmal ein bisschen verlegen. Am Ende schreitet er.“ Die ganze Zeit jedoch habe der jetzige Bundespräsident sein Privatleben abgeschottet, mehr als seine Vorgänger. Fotos in der Berliner Lieblings-Buchhandlung waren das Äußerste. „Das ist eine Konsequenz aus der Ära Wulff“, sagt Christian Irrgang. „Misstrauen und Kontrolle des Apparates sind sehr viel größer, der Zugang wird erschwert.“ Im Januar 2015 zum 75. Geburtstag von Joachim Gauck werden Irrgangs Fotos im Atrium der HanseMerkur zu sehen sein.

Johannes Rau gibt’s in Schwarz-Weiß, Horst Köhler bei den Fotos aus Afrika in Farbe und Joachim Gauck nur in Bunt. Auch sonst änderte sich für den Lichtbildner im Laufe der Bundespräsidenten die Technik. Früher fotografierte Christian Irrgang analog auf Film, heute digital mit Speicherchip. Immer waren es Tausende von Fotos, deren Endauswahl für das Buch eine Agentur erledigte. Geblieben ist der Respekt des Hamburgers für sein lebendes Objekt. „Meine Fotos sollen etwas über die Person erzählen und dem Menschen gerecht werden. Dafür braucht man Geduld, Zeit und natürlich etwas Glück.“

Bildbände von Christian Irrgang: „Johannes Rau. Porträt eines Präsidenten“. Propyläen Verlag 2002 „Horst Köhler. Der Mensch, der Präsident“. Edition Braus 2007. „Bürger Gauck. Unterwegs mit einem unbequemen Präsidenten“. Edel Books 2014