Der Hamburger Alltag während der Zeit des Ersten Weltkriegs ist Thema einer Ausstellung im Auswanderermuseum BallinStadt

Hamburg. Wer in den Schützengraben wollte, musste dafür 50 Reichspfennige ausgeben. Kinder zahlten die Hälfte, um die Frontabenteuer der tapferen Soldaten nachzuspielen: Im Sommer 1915, der Erste Weltkrieg tobte bereits ein knappes Jahr, bauten Reservisten an der Frickestraße in unmittelbarer Nachbarschaft zum Eppendorfer Krankenhaus einen Kriegsspielplatz mit Schützengräben und Stacheldraht, Unterständen und den Attrappen schwerer Waffen. Alles schien täuschend echt zu sein, dennoch hatte diese merkwürdige Inszenierung mit dem mörderischen Alltag an den Fronten buchstäblich nichts zu tun. Doch das dämmerte den meisten Besuchern wahrscheinlich erst, als die Spalte mit den Traueranzeigen in den Tageszeitungen immer länger wurde.

„Als das Tor zur Welt geschlossen wurde“ heißt die Ausstellung, in der das Auswanderermuseum BallinStadt den Kriegsalltag in Hamburg mit Bildern, Texten, Dokumenten und einigen Installationen nachzeichnet. Obwohl damals keine Bomben auf die Hansestadt fielen, war der Krieg auch in der Heimat keineswegs fern, sondern veränderte das Leben immer stärker. „Hamburg war besonders stark betroffen, weil die Hafenwirtschaft aufgrund der britischen Seeblockade fast vollständig zum Erliegen kam“, sagt die Historikerin Rebekka Geitner, die die Ausstellung kuratiert hat.

Anhand einer ganzen Reihe von alltäglichen Beispielen zeigt die Schau, wie umfassend der Krieg in das Leben der Menschen eingriff. Da die meisten Männer an der Front waren, wurden Frauen auf einmal für Tätigkeiten eingesetzt, die ihnen noch kurz zuvor verschlossen waren. Zunächst war es ein ungewohnter Anblick, dass auf Hamburgs Straßenbahnen Schaffnerinnen Fahrkarten verkauften. Dabei hatten sie es noch gut getroffen, im Vergleich zu jenen Frauen, die in der Rüstungsindustrie, aber auch im Hafen zum Teil sogar schwerere körperliche Arbeit verrichten mussten. Originale Kinderzeichnungen, die als Leihgaben aus dem Museum der Elbinsel Wilhelmsburg in die BallinStadt kamen, zeugen dagegen noch von der Faszination, die dieser völlig neuartige Krieg, der mit Zeppelinen, Flugzeugen und Panzern geführt wurde, anfänglich ausgeübt hat.

Doch das sollte sich ändern, denn die wirtschaftlichen Auswirkungen des militärischen Einsatzes, der eben nicht, wie von der Propaganda versprochen, nach nur wenigen Monaten siegreich beendet war, machten sich vor allem in der Versorgungslage bemerkbar. Wenn man sich in den ersten Kriegsmonaten noch irgendwie behelfen konnte, verschärfte sich die Situation bald.

Von der Kriegsbegeisterung des Sommers und Frühherbstes 1914, die zwar einen großen Teil, aber keineswegs die gesamte Bevölkerung erfasst hatte, war schon bald nichts mehr wahrzunehmen. Deutschlandweit sank die Lebensmittelproduktion um ein Drittel, was die Käufer in den Läden bald zu spüren bekamen. Im Sommer 1916 kam es in Hamburg zu ersten Hungerunruhen. In Barmbek und Hammerbrook versuchten Tausende, auch ohne die dafür notwendigen Berechtigungsmarken Brot zu kaufen. Bald wurden Scheiben eingeschlagen, es kam zu Tumulten und Plünderungen. Steckrüben waren oft das einzig verfügbare Lebensmittel, Zeitungen druckten merkwürdige Rezepte, so war zum Beispiel 1917 im „Hamburgischen Correspondenten“ nachzulesen, wie sich eine Saatkrähe zubereiten ließ.

Doch davon sollten die Soldaten an der Front möglichst nichts mitbekommen. 1916 erschien ein Ratgeber, in dem die Autorin den Soldatenfrauen Hinweise zum Briefschreiben gab. Darin heißt es: „Ein Brief kann einen Mann gut oder schlecht, zum Helden oder zum Feigling machen, kann ihm helfen, das Eiserne Kreuz zu verdienen, oder auch verleiten, seine Soldaten-Ehre zu verlieren. Darum möchte ich bitten, deutsche Frau, schreibe immer nur Sonntagsbriefe ins Feld.“

Die jetzt eröffnete Schau bildet den dritten und letzten Teil in einem Ausstellungs-Zyklus, mit dem das Auswanderermuseum BallinStadt auf insgesamt etwa 400 Quadratmetern die unbekannten Seiten des Ersten Weltkriegs thematisiert. Im Haus 3 wird an die gleich zu Kriegsbeginn erfolgte Umwandlung der Auswandererhallen in ein Lazarett erinnert, im Haus 1 geht es neben der jetzt eröffneten Ausstellung unter dem Titel „Gefangen zwischen Krieg und Frieden“ um das Schicksal deutscher Auswanderer, die in England, den USA oder Australien als „feindliche Ausländer“ galten und jahrelang interniert wurden. Alle drei Ausstellungsteile sind noch bis Jahresende zu sehen.

„Die unbekannten Seiten des Ersten Weltkriegs“, Auswanderermuseum BallinStadt, Veddeler Bogen 2, bis 30.12.2014, tgl. 10.00–16.30 Uhr, Informationen: www.ballinstadt.de