Das Zwei-Personen-Stück „Constellations“ bot einen so unterhaltsamen wie geistreichen Theaterabend

Hamburg. Allein, wie die zwei sich kennenlernen. Es könnte so oder auch so gewesen sein. Mal guckt er frech, mal sieht er niedlich aus – Männer mögen das nicht, als „niedlich“ bezeichnet zu werden, aber Frauen wissen, was gemeint ist –, mal weist er ihre Annäherung zurück mit einem „Meine Frau holt mir gerade ein Bier“. Und sie? Mal guckt sie auffordernd, mal schlängelt sie vor ihm herum, mal hat sie den „Ich-spring-dir-gleich-ins-Gesicht-Blick“, mal ist sie einfach süß. Die Varianten, wie Mann und Frau einander wahrnehmen, anschauen und entdecken, sind zahllos. Und jede einzelne lebt von der Spannung.

Nick Payne hat darüber und wie es mit den beiden weitergeht, weitergehen könnte, ein Stück geschrieben, „Constellations“ – frei übersetzt „Das Zusammentreffen von Umständen“. Es zeigt Roland und Marianne, die vielleicht ein Paar werden. Und wenn sie eins geworden sind, dann kämpfen sie mit Beruf und Krankheit, mit Eifersucht und Alltag, so wie die meisten Menschen.

Wilfried Minks hat „Constellations“, das am Londoner Royal Court Theatre Hymnen bekam und inzwischen in 14 Sprachen übersetzt wurde, nun mit Judith Rosmair und Johann von Bülow auf die Bühne des St. Pauli Theaters gebracht. Es ist eine hinreißende Inszenierung, gestaltet von fe-derleichter Regie und zwei virtuosen und so lebensecht spielenden Schauspielern, dass man meint, bei ihnen im Wohnzimmer zu sitzen. Und ihnen gern auch noch länger zugeschaut hätte als die knapp anderthalb Stunden, die der Abend dauert. Das Publikum jedenfalls war am Ende ganz aus dem Häuschen und applaudierte den Künstlern lange und jubelnd.

Ein Mann und eine Frau treffen sich auf einer Party. Man macht das, was dort üblich ist, Small Talk. „Durch wen sind Sie hergekommen?“ „Und was machen Sie beruflich?“ Man ist sich sympathisch oder nicht. Man erzählt sich Geschichten, belanglose und wichtige. Man geht zu ihr. Und dann will sie, dass er wieder geht. Oder auch nicht. Manchmal führt ein Satz, ein Blick dazu, dass sich alles ändert. Kennt das nicht jeder, den Gedanken „Wenn ich an diesem Tag nicht dort hingegangen wär’, hätten wir uns nie kennengelernt“ oder ähnlich Verwirrendes?

Das Stück spielt viele dieser Möglichkeiten in kurzen, knappen Dialogen durch. Die Inszenierung zeigt zwischen jedem Wechsel einen kurzen Blackout, sodass man sofort versteht. Roland ist Imker, bodenständig, beschäftigt mit Kleinem, den Bienen. Marianne ist Physikerin, lebt und denkt in Theorien, im Großen und Ganzen, dem Kosmos, der Zeit. Sie glaubt fest daran, dass unser Leben in unendlichen Varianten in Paralleluniversen existiert. Dort existiert auch alles, wofür man sich nicht entschieden hat. Beispielsweise die Variante, bei der sich Marianne und Roland auf der Party so unsympathisch gefunden hätten, dass ihr Gespräch schon nach zwei Minuten vorbei gewesen wäre. Der Charme des Stückes liegt darin, dass man die falschen Abzweigungen, die diese Beziehung hätte nehmen können, irgendwann vergisst und nur noch die Liebesgeschichte sieht.

Johann von Bülows Roland ist ein richtig guter Typ, mitfühlend und verständnisvoll, gelegentlich scheu, zweifelnd und leider auch mal prall. Typisch Mann eben. Meist ist er wirklich liebenswert, ein Kümmerer. Und selbst in der Szene, in der er Marianne eine runterhaut, weil er so wütend ist, dass sie ihn betrogen hat, da fallen ihr slapstickartig ein paar Zähne aus, und man weiß: War alles gar nicht echt. Böse kann er nicht wirklich sein. Ja, er heult auch mal und weiß nicht weiter, weil Marianne von ihrem neuen Lover schwärmt, der sei „erst 24“. In einer anderen Version, wenn er derjenige ist, der fremdgeht, lässt er das wie nebenbei fallen und schmollt Marianne an, die stinksauer ist: „Beruhige dich mal.“ Mal trennen sich die beiden dann für immer, mal raufen sie sich wieder zusammen. So wie es eben ist im Leben.

Judith Rosmair blitzt als Marianne nur so vor Begeisterung. Nein, nicht über die große, weite Welt des Kosmos, aber über die tollen Möglichkeiten, so viele Facetten ihres Könnens zeigen zu dürfen: Schnippisch und schlau, biestig und brav, Kobold und Karrierefrau – all das zeigt sie abwechselnd. Und eine Szene spielt sie sogar im Kopfstand. Nichts ist alltäglich, alles ist Alltag.

Vorn auf der Bühne steht ein Sofa, das auch zum Bett ausgezogen werden kann, hinten wehen Gardinen, die einen Hauch von Unheil andeuten. Wilfried Minks hat auch die Bühne gestaltet, unprätentiös, sodass sich das Spiel der beiden Darsteller auf kleinstem Raum ganz groß entfalten kann.

Natürlich hat das Stück auch eine Fallhöhe. In diesem Fall heißt sie, Marianne erkrankt schwer. Wie geht man als Paar damit um? Will jeder allein damit fertig werden? Kann Marianne geheilt werden? Ist es tödlich? Oder doch nicht so schlimm?

Ganz am Ende deutet dann noch eine Szene darauf hin, dass alles gut ausgeht. Wie könnte es auch anders sein, an diesem gelungenen, unterhaltsamen und geistreichen Theaterabend.

Nächste Vorstellungen: 27. bis 30.11., dann 2015