Die Flo Peters Gallery zeigt Fotos des Österreichers Franz Hubmann aus dem Hamburg zehn Jahre nach Kriegsende

Hamburg. Es müsse, mutmaßt Axel Hubmann, ein kunstsinniger Herr in der Hamburger Senatsverwaltung gewesen sein, der Mitte der 50er Jahre auf die Fotos seines Vaters aufmerksam wurde. Die Bilder von Franz Hubmann erschienen damals in schöner Regelmäßigkeit und regelmäßiger Schönheit in der 1954 gegründeten österreichischen Kulturzeitschrift „magnum“, deren Name auf den der berühmten Fotografen-Kooperative um Henri Cartier-Bresson und Robert Capa verwies. Das „magnum“-Magazin nahm Fotografie so wichtig, dass es die Bilder nicht als Illustration zu den Artikeln verwendete. Die Fotos durften selbst Geschichten erzählen und breiteten sich oft über 16 Seiten mit wenig Begleittext aus.

Der Mann von der Senatskanzlei suchte jemanden, der das so bitter vom Krieg bestrafte Hamburg zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs so fotografieren könnte, dass man sah: Die Stadt ist wieder da, auferstanden aus Ruinen, bereit, ihr Tor zur weiten Welt wieder aufzustoßen. Franz Hubmann aus Wien bekam den Auftrag. Erstmals seit 60 Jahren wird jetzt wieder gezeigt, was Hubmann sah auf seinen wiederholten Reisen nach Hamburg in den Jahren 1955 und 1956, und wie er es sah. „Hamburg – Tor zur Welt“ hieß die Ausstellung damals tatsächlich. Für ferner lebende Zeitgenossen bestückte Hubmann auch eine der „magnum“-Ausgaben mit seiner fotografischen Ausbeute von der Elbe. Die Auswahl, die nun in den Galerieräumen von Flo Peters im Chilehaus zu sehen ist, versammelt teilweise etwas braunstichig gewordene, ungemein stimmungsvolle Schwarzweißbilder, angefertigt von einem souveränen Fotokünstler und Menschenfreund.

Auch Hubmann erlag damals dem mächtigen Zauber, der bis heute wohl jeden Besucher der Stadt befällt: „An Hamburg hat mich die Hafenatmosphäre fasziniert: Diese Stimmung des dauernden Abschiednehmens und ständigen Wartens“, schrieb er. Doch was für ein Hafenleben hat er noch erlebt und abgelichtet! Da balanciert ein Mann auf einem schräg gestellten schmalen Ausleger und zieht mit der linken Hand einen Korb voller Fische in die Höhe. Mit der rechten hält er sich an einem augenscheinlich ziemlich schuckligen Geländer fest. „Der hat sich bestimmt nur fürs Foto angeseilt“, kommentierte trocken ein Hafenveteran, der die Ausstellung gleich am ersten Tag besuchte und der Galeristin noch manchen Tipp über den genauen Entstehungsort und abgebildete Personen geben konnte. „Und bei der Rutsche musste man immer darauf achten, dass die auch nass genug war, damit die Körbe mit der Ladung nicht auf halber Strecke stehen blieben.“

Hubmann behielt immer beides im Blick, die Menschen und den Raum, der sie umgibt. Und er besaß die Gabe, zwischen beiden jene Beziehung herzustellen, die aus einem Foto ein gutes Foto macht. Unter den Hafenarbeitern, den Lotsen, den Börsianern oder den Marktverkäufern fand er markige, unvergessliche Gesichter, denen das harte Leben der Nachkriegszeit eingeschrieben war.

Hubmann hat in seinem langen Leben (1914–2007) etwas gebraucht, ehe er den Menschen entdeckte. Aber dann hat er ihn so selbstverständlich fotografiert, als sei die Kamera ihm ein Körperteil. Die Götter der klassischen Musik und des Jazz, den er liebte, Schauspieler, Komponisten, Dichter, Denker, bildende Künstler von Weltruhm: Auch von diesem Zweig seines Schaffens hängt Sehenswertes bei Flo Peters. Immer aber sah er auch die sogenannten einfachen Leute aus der Vorstadt. Wunderbar auch seine Bilder aus dem Hawelka, jenem Kaffeehaus, in dem sich das Lebensgefühl Wiens und einer Epoche bündelt wie das Licht im Wasserglas zum kleinen Braunen. Franz Hubmann zählt zu den großen Bildchronisten einer Weltstadt, so wie Cartier-Bresson zu Paris oder Ara Güler zu Istanbul.

Auch die Hamburg-Aufnahmen zeigen: Man vergaß ihn offenbar schnell, den aufmerksamen Beobachter, der etwa die Fischhändler fotografierte, wie sie, breitbeinig dastehend auf den Kreuzungspunkten der Holzkästen über der offen daliegenden Ladung, Bestellungen aufgaben oder entgegennahmen und um den Preis der Ware feilschten. Oder wie sie nach getaner Arbeit in der herrlich verqualmten „Glockenkate“ sitzen und unterm Blick von Barfrau und Barkatze ihr Bier trinken.

Hubmanns Leica M3 mit dem nahezu lautlosen Schlitzverschluss half ihm beim Unauffälligwerden erheblich. Er fotografierte Tag und Nacht, und mit gewiss hochrotem Kopf wagte er sich auch in die zwielichtigen Viertel, die Kamera unterm Trenchcoat verborgen. In der „Gasse“, wohl der Herbertstraße, bietet eine Ältere drei Damen feil, die aufgedonnert sind, als ginge es zum Ball. Hubmann hält Abstand und zeigt Herzklopfen und Scheu des männlichen Betrachters gerade durch diese neugierige Distanz. Auch das Bild von den vier Schönen der Nacht unter einer Straßenlaterne in der Buttstraße ist von derart verschämter Aufregung. Nur der walrossbärtige, schwermütige Türsteher, der Passanten zum Betrachten der „Damen-Ringkämpfe“ auf der Reeperbahn kobert, sieht so todtraurig in die Welt, dass man unwillkürlich denkt: Der Mann hat Heimweh. Nach Österreich. Das muss ein alter Wiener sein.

Unter den zahlreichen Bildbänden mit Hubmanns Werk ragt die großformatige Monographie „Das photographische Werk“ (Brandstätter) heraus. Es findet sich darin nicht ein einziges Bild, das bloß mittelmäßig wäre.

Franz Hubmann: Das photographische Werk, bis 7.2.2015, Flo Peters Gallery, Di–Fr, 12.00–18.00, Sa 11.00–15.00 u.n.V. unter T. 30 37 46 86