Die Literaturverfilmung „My Old Lady“ ist ein sehr sehenswerter Darstellerfilm

„Präzision ist der Schlüssel zu einem langen Leben. Präzision und Wein“, erklärt Mathilde (Maggie Smith) beim Abendessen. Und die alte Dame spricht diesen Satz mit jenem antiquierten britischen Akzent, der Strenge und Ironie zugleich birgt. Letztlich beschreibt die Lebensweisheit von der Präzision und dem Wein auch sehr treffend den Film, in dem sie geäußert wird. „My Old Lady“ ist ein akkurat inszeniertes, auf das Können seiner Darsteller konzentriertes Kammerspiel, das jedoch genügend spielerische Freiheit zulässt, um einen gewissen Laissez-Faire-Charme zu entfalten.

Mathias (Kevin Kline) – Ende 50, abgebrannt, dreimal geschieden, Alkoholprobleme – reist von New York nach Paris, wo sein Vater ihm eine Villa vererbt hat. Was er nicht weiß: In dem Haus lebt die 92-jährige Mathilde, die nach dem Prinzip der Immobilienleibrente Wohnrecht bis zu ihrem Tod hat und der sogar ein monatlicher Unterhalt zusteht. Zum Entsetzen von Mathildes Tochter Chloé (Kristin Scott Thomas) versucht Mathias dennoch, das Anwesen zu verkaufen. Die Konflikte verschärfen sich, als Mathias herausfindet, dass Mathilde und sein Vater mehr als nur Geschäftsfreunde waren.

Ist „My Old Lady“ Liebesgeschichte, Komödie oder Drama? Der Betrachter wechselt durch die Genres ebenso wie durch die Gefühle. Es gibt wesentlich abgründigere und auch rasantere Familiengeschichten. Bei „My Old Lady“ ist es jedoch schlichtweg toll, den Schauspielern bei ihrer Kunst zuzusehen. Kevin Kline, dessen Mathias durchtrieben, zugleich aber charmant seinen Vorteil sucht und dabei nach und nach seine Verletzungen offen legt. Maggie Smith, die ihre alte Dame mit einer sehr selbstverständlichen Eigensinnigkeit ausstattet. Und Kristin Scott Thomas, die in diesem Film den ultimativen Beweis antritt, wie stark und komplex Rollen für Frauen Mitte 50 angelegt sein können.

Die formale Genauigkeit kommt nicht von ungefähr. Der Film ist das Kinoregiedebüt des Dramatikers und Drehbuchautors Israel Horovitz. Der 75-Jährige ist ein passioniertes Arbeitstier. Mehr als 70 Theaterstücke hat er geschrieben, darunter eben auch „My Old Lady“, das vor zwölf Jahren Premiere in New York feierte. Für die Leinwand dehnt Horovitz den Handlungsspielraum auf Paris aus, das er von seiner klassischen romantischen Seite zeigt. Das Haus und die Stadt mit ihren Farben, Geräuschen und Lichtspielen werden so zu weiteren Hauptfiguren in diesem sehenswerten Darsteller-Film.

++++- „My Old Lady“ USA/F/GB 2014, 106 Min., o.A., R: Israel Horovitz, D: Kevin Kline, Magie Smith, Kristin Scott Thomas, täglich im Blankeneser, Holi, UCI Mundsburg; www.myoldlady.de