Der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann führt mit den Philharmonikern unter Simone Young seine „Elegie“ auf

Hamburg. Es gehört nicht gerade zum Komponistenalltag, dass man sein eigenes Stück acht Jahre nach der Uraufführung am selben Ort noch einmal spielen darf, und auch den Solopart darin wiederum selbst. Für Jörg Widmann ist die Wiederkehr mit seiner „Elegie für Klarinette und Orchester“ in die Laeiszhalle am Sonntag und Montag aber nicht nur eine schöne Bestätigung dafür, dass das 2006 zum Mozartjahr vom NDR-Sinfonieorchester in Auftrag gegebene Werk offenbar Bestand hat. Diese acht Jahre markieren für ihn auch einen Zeitraum, in dem „ungeheuer viel passiert ist“, wie er sagt. Die Aufführung jetzt mit den Philharmonikern ist bereits die dritte, die er gemeinsam mit Simone Young realisiert – zuvor erarbeiteten sie das Werk in Köln und Dresden mit den dortigen Orchestern.

„Wir atmen zusammen“, stellte Widmann nach der Probe Freitagmittag beglückt fest. Er ist begeistert auch von der Reaktionsschnelligkeit und Sensibilität des Orchesters, und hätte die Laeiszhalle einen aus Topmusikern bestehenden Fanclub, auch Widmann wäre garantiert dabei. Es ist in der Tat bemerkenswert, wie mühelos die Akustik des Saals sein filigranes Stück stützt. Er hat es damals unter Christoph von Dohnányi hier uraufgeführt und am selben Abend Mozarts Klarinettenkonzert gespielt. Da er dies zum Zeitpunkt des Kompositionsauftrags schon wusste, übernahm Widmann die Instrumentierung von Mozart nahezu identisch. Nur Schlagwerk, Celesta, Harfe und ein klangdramaturgisch sehr wichtiges Akkordeon nahm er dazu.

„Es ist kein einziges Mozart-Zitat in meinem Stück“, sagt Widmann, „das verbietet sich. Dafür verehre ich ihn viel zu sehr.“ Verehren, das fällt ihm leicht. Über dem Klavier in der Künstlergarderobe der Laeiszhalle hängt ein Bildnis von Carl Maria von Weber im Profil. Widmann ist ein Musiker von der Sorte, die eine solch zufällige, stumme Zeugenschaft glücklich machen kann. „Man denkt immer, dass Weber harmlose Musik in C-Dur gemacht hat, und man tut ihm so Unrecht damit. Seine Musik ist dramatisch und ganz tief. Hätte er nur das Vorspiel zum ‚Freischütz‘ geschrieben, wäre er schon unvergesslich.“

Wer hört, wie Widmann in seiner Elegie die Klarinettenpartie mit ihren waghalsigen mikrotonalen Läufen, den in kürzesten Notenwerten punktgenau synkopisch explodierenden Melodietönen und den haarfein artikulierten Mehrklängen gestaltet, nimmt zweierlei wahr: die Strenge der Form und eine Freiheit des Melos, die an die großen Improvisatoren des Jazz erinnert. Tatsächlich hat Widmann, der Auftragswerke für die bedeutendsten Orchester und Solisten der Welt komponiert – vom unbegleiteten Klavierstück bis zur Riesenoper „Babylon“ mit 700 Seiten Partitur –, eine überraschende Affinität zum Jazz. Er sagt: „Für die Interpretation von Mozarts Klarinettenkonzert habe ich von Miles Davis mehr gelernt als von jedem anderen.“ Wer findet, das klinge ein bisschen kokett, irrt. Widmann kann genau erklären, wie Davis’ Spielweise mit und ohne Dämpfer, die Beziehung zwischen zwei Tönen und all die von ihm nicht gespielten Töne die Musik auf unverwechselbare Weise emotional aufluden und Tiefe gaben.

Dass Widmann bei seinem enormen Pensum als Klarinettist und Komponist auch noch seit 13 Jahren einer Lehrtätigkeit mit 20 Wochenstunden nachgeht, erscheint fast unglaublich. Jetzt hat er sich entschieden, eine mehrjährige Hochschulpause in Freiburg einzulegen.

So 11.00, Mo, 20.00, Karten unter T. 35 76 66 66