Pianist Menahem Pressler wurde vom Publikum in der Laeiszhalle gefeiert

Hamburg. Irgendwo muss in dem schwarzen Flügel ein Jungbrunnen versteckt sein. Anders ist der Auftritt von Menahem Pressler im Kleinen Saal der Laeiszhalle nicht zu erklären. Denn sobald der 90 Jahre alte Pianist am Instrument saß und die Tasten berührte, schien sich seine Lebensuhr weit zurückzudrehen. Er verströmte eine Musizierlust, die sich unmittelbar auf seine Mitstreiter vom Kelemen Quartett und das Publikum übertrug.

Im Klavierquartett von Schumann war Pressler der Impulsgeber einer mitreißenden Interpretation. Er setzte die Akzente, an denen sich Schumanns rhythmische Energie entzündet, er grundierte die romantischen Farben und beseelte die Melodien der Streicher mit seiner musikalischen Herzenswärme. Ebenso in der Zugabe, dem langsamen Satz aus Brahms’ Klavierquartett op. 60, den Pressler als Liebeserklärung des Komponisten ankündigte und mit seinen jungen Kollegen zum lyrischen Höhepunkt des Konzerts machte.

Das untrügliche Gespür des legendären Pianisten für den Atem und die großen Bögen der Musik fehlte den Streichern vor der Pause: In Haydns Quintenquartett und dem a-Moll-Quartett von Brahms wirkte manche Passage allzu detailverliebt und auch nicht so sorgfältig zu Ende geprobt, wie man es von einem jungen Spitzenensemble erwarten darf. Womöglich waren die Unstimmigkeiten eine Folge der Umbesetzungen im Kelemen Quartett, dessen zwei neue Mitglieder noch sehr vorsichtig zu Werke gingen. Ihre Zurückhaltung bestärkte die Neigung des ersten Geigers und Namensgebers, Barnabás Kelemen, den Chef im Ring zu geben. Gleichgewicht geht anders.

Das Publikum bejubelte den Abend trotzdem – weil Pressler so ergiebig aus seinem Jungbrunnen schöpfte, dass die Durststrecken der ersten Hälfte schnell vergessen waren.