Die US-Autorin Jhumpa Lahiri beschreibt in „Das Tiefland“ eine Familiengeschichte zwischen Indien und Amerika

Jhumpa Lahiri, 1967 in London geboren, ist eine amerikanische Schriftstellerin indischer Abstammung. Bereits für ihr 1999 erschienenes Debüt, „Melancholie der Ankunft“ bekam Lahiri den renommierten Pulitzer-Preis, das Buch verkaufte sich allein in den USA mehr als eine Million Mal. In diesem Kurzgeschichtenband beschäftigte sie sich auf melancholisch schöne Weise mit den Befindlichkeiten indischer Einwanderer in den USA, mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen von Familie, Ehe, Glück, Kultur und Tradition, die sich irgendwie nicht so recht ins moderne Amerika einfügen. Diese Themen haben die Schriftstellerin seitdem nie mehr losgelassen, sie weiß sie mit ungeheurer Präzision zu beschreiben. Auch ihr 2003 erschienener erster Roman „Der Namensvetter“ handelt von einer jungen indischen Einwandererfamilie in die USA und ihrer kulturellen Verunsicherung. Im kommenden Jahr wird Jhumpa Lahiri Professorin an der renommierten Princeton University.

Jetzt ist auf Deutsch Lahiris „Das Tiefland“ erschienen, eine großartige, weit ausholende Geschichte, die zwischen Indien und den USA spielt und Menschen zeichnet, die klug und ambitioniert sind, die aber kein Glück im Lebensplan erwarten, sondern geduldig ihr Schicksal ertragen, nämlich das, was ein Tod über Generationen hinweg in ihnen anrichtet. Das heißt in diesem Fall: Sie erleben verständnislose Eltern, eine unglückliche Ehe, ein ungeliebtes Kind, Fremdheit und Sprachlosigkeit zwischen den Generationen, den Geschlechtern.

Lahiri beschreibt dies alles mit gnadenloser Genauigkeit. Sie schaut auf ihre Figuren wie ein Forscher auf ein Insekt unterm Mikroskop: Auf das Glück, das sich bei diesen Menschen einfach nicht einstellen will und auf das wir Leser so sehr hoffen, weil wir uns ein Leben, das nicht unablässig nach Glück strebt und Vollendung findet, nicht vorstellen mögen. Schon gar nicht im Roman. Und doch suchen Lahiris Helden nach Erfüllung im Beruf und einem bescheidenen Winkel zum Leben. Man will ja nicht zu viel fordern.

Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei Brüder, die in Tollygunge, einem Vorort Kalkuttas in den 50er-Jahren aufwachsen. Das Gebiet wird bei Monsunregen regelmäßig überflutet und dann von einem Netz aus Wasserhyazinthen überwuchert. Diesem Tiefland verdankt der Roman seinen Titel. Im Laufe der Jahrzehnte wird sich das Gebiet zu einem städtischen Moloch entwickeln. Aber als Subhash und Udayan hier aufwachsen – altersmäßig trennen sie nur 15 Monate –, lebt die Gegend von Farben und Gerüchen, von Menschen aus der Nachbarschaft und den Riten der Eltern. Der Ältere, Subhash, ist langweilig und tüchtig, Udayan dagegen charismatisch und verantwortungslos. Die beiden machen alles gemeinsam. Doch als die Zeit auf dem College beginnt, trennen sich ihre Wege. Subhash forscht im Stillen und bekommt ein Doktoranden-Stipendium in den USA, das ihn nach Rhode Island führt. Er wird immer in seinem Gastland bleiben. Udayan bleibt und schließt sich der politischen Bewegung der Naxaliten an, einer maoistischen Strömung, die gegen die Besitzenden und Mächtigen kämpft und dabei auch vor Terroranschlägen nicht zurückschreckt. Eines Tages erreicht Subhash in den USA ein Telegramm: „Komm zurück, Udayan getötet.“ Er fährt nach Indien, erlebt eine gramgebeugte junge Witwe, Gauri, und seine versteinerten Eltern, die ihn weniger denn je lieben. Er will die von ihnen abgelehnte, schwangere Schwiegertochter erlösen, heiratet sie, nimmt sie mit in die USA. Von ihr erfährt er auch, dass Udayan von der Polizei ermordet wurde. War er ein Terrorist?

Gauri und Subhash werden nicht glücklich. Bela, die Tochter Udayans, die erst als Erwachsene erfahren wird, wer ihr Erzeuger ist, wird von Subhash fast allein großgezogen. Denn Gauri entscheidet sich für ein Leben in Einsamkeit, wird später Professorin für Philosophie und verlässt heimlich ihre Familie.

Lahiri erzählt dies alles in großen zeitlichen Bögen über mehr als 50 Jahre. Sie zeigt Menschen, die nicht aus ihrer Haut können, beschreibt ihre seelische Versehrtheit. All die handelnden Personen werden den Lesern sehr nahe gebracht, ihre Träume, ihre Unfähigkeiten, ihre oftmals schwer zu erklärenden Handlungen, man kann förmlich in sie hineinkriechen. Auch Bela, die Tochter, die wir bis zum Alter von 40 Jahren begleiten, wird geprägt vom Tode eines Menschen, den sie niemals kennengelernt hat. Ob man sein Leben für eine irregeleitete Idee gibt, für ein Pseudo-Idyll oder für die Karriere, am Ende wollen alle nur geliebt werden. Doch nur einem Menschen gelingt es.

Jhumpa Lahiri, indischstämmig in London geboren, wuchs in den USA auf. Jetzt hat sie den Roman „Das Tiefland“ geschrieben (aus dem Englischen von Gertraude Krüger), erschienen im Rowohlt Verlag (521 Seiten, 22,95 Euro)