Mechtild Borrmann liest aus ihrem nervenaufreibenden Roman „Die andere Hälfte der Hoffnung“

Ein Bauernhof im Niemandsland. Der Besitzer rettet ein Menschenleben und opfert ein anderes dafür. Die verbotene Zone von Tschernobyl. Eine alte Frau berichtet ihrer verschwundenen Tochter in einem Brief von den ganzen Ausmaßen der Katastrophe. Ein ominöses Sonderdezernat in Düsseldorf. Ein Kommissar heftet sich auf die Spur einer auf junge Mädchen spezialisierten Schlepperbande.

Die Autorin Mechtild Borrmann entwirft in ihrem Roman ein Tableau faszinierender Figuren und ungewöhnlicher Orte. Es sind menschliche Tragödien, verhängnisvolle Verfehlungen, enttäuschte Hoffnungen, die im Mittelpunkt von „Die andere Hälfte der Hoffnung“ stehen. Borrmann taucht tief ein in die Psyche ihrer Figuren, in die Abgründe ihrer Seelen und verknüpft gekonnt Vergangenheit mit aktuellen Ereignissen. Hier wird weder skalpiert noch blutreich gemordet, dennoch ist „Die andere Hälfte der Hoffnung“ nervenaufreibend spannend.

Es ist ein kalter Wintermorgen, als der Hofbesitzer Lessmann ein frierendes, verängstigtes Mädchen von der Straße aufliest und in seinem Haus versteckt. Das Mädchen, das sich Tanja nennt, kommt aus Osteuropa und hat das Land einst zusammen mit ihrer Freundin in der Hoffnung auf ein besseres Leben verlassen. Nun fürchtet sie um ebendieses; ihre Zuhälter sind wild entschlossen, sie für ihren Fluchtversuch zu bestrafen. Auch der Ermittler Leonid will Tanja dringend finden – und mit ihr zahlreiche andere junge Frauen, die mittels sogenannter Schüleraustausche und dubioser Visa-Anträge in deutsche Bordelle geschleust wurden. Unter den Frauen ist auch Kateryna, aufgewachsen in der verbotenen Zone von Tschernobyl. Kein Wunder, dass ihr ein Studentenleben in Deutschland wie das Paradies erscheint.

Borrmann schreibt in klaren, einfachen Sätzen, die eine beinahe hypnotische Kraft entwickeln. Auch dank der aufwendigen Recherche gelingt ihr ein eindrucksvolles Stück Zeitgeschichte über ein dunkles Kapitel Europas. Die Auswirkungen des Reaktorunglücks, die zerstörten Biografien, all dies wird in „Die andere Hälfte der Hoffnung“ wieder lebendig.

Belohnt wird der Leser, der sich auf diese Geschichte von politischer Brisanz einlässt. Mechtild Borrmann gehört auf die Liste jener Autorinnen, die dem Genre des Kriminalromans eine neue Seite abgewinnen.

Mechtild Borrmann liest, Sa 8.11., 17 Uhr, Kampnagel, Karten zu 12,- bei Heymann und unter T.040/30 30 98 98; www.krimifestival-hamburg.de

Mechtild Borrmann: „Die andere Hälfte der Hoffnung“ (Droemer, 19,99 €)