Thomas Ebermann und Robert Stadlober bringen Herbert Marcuses „Der eindimensionale Mensch“ auf die Bühne des Polittbüros.

Hamburg. In den 60er-Jahren war Herbert Marcuse einer der einflussreichsten Philosophen für Studentenbewegung und neue Linke. Sein kapitalismuskritisches Werk „Der eindimensionale Mensch“, 1964 erschienen, war damals studentische Pflichtlektüre. Kann man ein so schwieriges theoretisches Werk auf die Bühne bringen? Thomas Ebermann, Publizist, Theatermann und Marcuse-Kenner, sagt Ja. „Marcuse ist leicht und schwer zugleich. Seine Philosophie ist schwer zu verstehen, doch im Anschluss folgen immer Anekdoten, in denen er das Theoretische entschlüsselt.“ Zum 50. Jubiläum dieses Standardwerkes der Kritischen Theorie hat Ebermann „Der eindimensionale Mensch“ mit ein paar vertrauten Künstlern auf die Bühne gebracht. Vom 23. bis zum 25. Oktober gastiert sein „Marcuse-Team“ mit dem Theater-Musikabend im Polittbüro.

Ebermanns Mitstreiter sind Robert Stadlober, als Schauspieler durch „Crazy“ und „Sonnenallee“ bekannt geworden und Mitglied der Band Gary, und Andreas Spechtl, Sänger und Gitarrist der Gruppe Ja, Panik. Ursprünglich gehörte auch noch Kristof Schreuf, mit seiner Band Kolossale Jugend einer der Mitbegründer der Hamburger Schule, zu der Gruppe, doch wegen stimmlicher Probleme stieg Schreuf während der Endproben aus dem Projekt aus. „Was wir uns vorgenommen haben, ist eigentlich unmöglich zu erreichen“, sagt Stadlober, 32. „Aber Scheitern ist hier eine Chance und passt zu Marcuse.“ Wochenlang haben die Musiker und der Theatermann den Abend entwickelt. Ein schweres Unterfangen, wie Stadlober beschreibt: „Wir haben probiert, Sätze zu vertonen. Geht nicht. Wir haben versucht, die Gedanken aus dem Ursprungszitat zu erfassen. Funktioniert nicht. Mittlerweile sind wir so von Marcuse durchdrungen, dass alles, was wir schreiben, mit ihm zu tun hat. Die Annäherung erfolgt über Begriffe und Marcuses poetische Sprache.“

Vor 40 Jahren war Marcuse extrem populär, heute ist er so gut wie vergessen. Stadlober vermutet, dass die sogenannte Generation der 68er die Lebensentwürfe von damals heute negiert. „Viele denken vielleicht: Die wilde Zeit war ganz lustig, hat aber heute keine Relevanz mehr. Deshalb haben sie Marcuse auf den Müllhaufen geworfen.“ Der Schauspieler ist von dem Philosophen fasziniert, weil dieser sehr offen gewesen sei. Marcuse habe zum Beispiel als 70-Jähriger Bob Dylan gehört und darüber reflektiert. „In den 60er-Jahren gab es ein kurzes Zeitfenster, in dem Pop und Gesellschaftskritik zusammengewirkt haben. Das gibt es heute so kaum noch. Rockmusik ist unpolitisch geworden“, sagt Stadlober.

In der Musik, die er und Spechtl für „Der eindimensionale Mensch“ geschrieben haben, überlagern Geräusche die Texte und zerstören sie. Sie sind Ausdruck ihrer Wut und der Opposition gegen den Kapitalismus und die Konsumwelt, wie sie sich gegenwärtig zeigt. Es gibt aber auch richtige Lieder mit Strophe, Refrain, Strophe, Refrain. Wichtig ist Ebermann und Mitstreitern, dass „Der eindimensionale Mensch wird 50“ nicht wie ein intellektuelles Marcuse-Proseminar rüberkommt, sondern eine ästhetisch genussvolle und spannende Text-Bild-Musik-Collage wird. „Man kann diesen Abend auch genießen, ohne Marcuse-Kenner zu sein“, sagt Stadlober. „Es geht darum, kluge Gedanken in einer trostlosen Zeit auszusprechen“, ergänzt Ebermann.

Nach der Premiere beim Steirischen Herbst in Graz und Gastspielen in Wien tourt der Marcuse-Abend in den kommenden Wochen durch Deutschland und macht für drei Tage im Polittbüro am Steindamm Station, dem Ort, an dem Ebermann seit Jahren regelmäßig seine Vers- und Kaderschmiede veranstaltet.

Für die laufende Tournee hat Ebermann sich mit Berthold Seliger zusammengetan. Der Konzertagent, der unter anderem in Deutschland für Patti Smith und Calexico arbeitet, unterstützt mit seinem Know-how und seinen Kontakten das Marcuse-Projekt. Von Nostalgie wollen Ebermann und Stadlober angesichts des Jubiläum aber nichts wissen: „Das Erschreckende ist, dass 90 Prozent der Dinge, über die Marcuse schreibt, immer noch aktuell und mit Vehemenz eingetreten sind.“

„Der eindimensionale Mensch wird 50“, 23. bis 25.10., Polittbüro, Karten 15 Euro