Gillian Flynn schrieb den Krimi „Gone Girl“, US-Regisseur David Fincher hat den Bestseller verfilmt. Am Donnerstag kommt er in die Kinos.

Hamburg. Wochenlang hatte sich vor zwei Jahren Gillian Flynns Buch „Gone Girl“ an der Spitze der Bestsellerliste der „New York Times“ festgesetzt. Kein Wunder, dass die Filmbranche begehrliche Blicke auf den Beziehungskrimi warf, in dem ein Mann am fünften Hochzeitstag seine Frau als vermisst meldet. David Fincher verfilmte den Roman jetzt, nachdem die Autorin selbst das Drehbuch schrieb. In den Hauptrollen spielen Ben Affleck und Rosamund Pike. Am Donnerstag kommt der Film in die Kinos.

„Ich mag Gillian Flynns Buch, weil es ein bisschen unanständig ist, ein bisschen gemein, sehr lustig. Und ich kenne viele Männer, die nach drei- bis fünfjähriger Ehe das Gefühl haben: Meine Frau hat mich hereingelegt“, sagt Fincher. „Man muss sie dann fragen: Ja, aber was hast du mit ihr gemacht?“ Das ist der kriminelle Kern der Handlung, aber so, wie Fincher sie in Szene gesetzt hat, beinhaltet sie auch eine gehörige Portion Medienkritik.

„Flynn nimmt sich eines komplexen Beziehungsverhältnisses an, das unter das Vergrößerungsglas von Nachrichtensendungen gerät, die rund um die Uhr ausgestrahlt werden. Keine Beziehung kann dem standhalten. Dabei kommen dann auch noch eine Menge andere Dinge ans Tageslicht. Das fand ich ziemlich gerissen.“ Fincher kam mit seiner Hauptdarstellerin nach Berlin, um den Film vorzustellen.

Er erzählt darin von Nick Dunnes Frau Amy, die verschwunden ist, die Polizei ermittelt sorgfältig. Im Wohnzimmer des Ehepaars finden sich Spuren einer gewalttätigen Auseinandersetzung. In ihrem Heimatort in Missouri starten die Bürger eine Hilfsaktion. Irgendetwas scheint in der Ehe schon vor dem Verschwinden schiefgelaufen zu sein. Verschärft wird die Situation noch durch die Medien, die sich intensiv mit dem angeblichen Verbrechen beschäftigen und dabei heftig über Schuld und Unschuld von Nick spekulieren.

Nach ihrer Hochzeit waren Nick und Amy in ein kleines Provinzstädtchen gezogen – gegen ihren Willen. Sie ist ein ehemaliges Wunderkind, dem ihre Mutter eine Kinderbuchserie um die „Amazing Amy“ gewidmet hatte. Aber wie gut war die Ehe der beiden eigentlich wirklich? Es mehren sich die Anzeichen, die nicht zur glatten Fassade passen wollen. Der Film erzählt aus zwei Perspektiven: Eine beschreibt die Suche nach Amy, die andere ist die Geschichte ihrer Ehe, wie sie sie in ihren Tagebucheinträgen festgehalten hat. „Was tun wir einander an?“, fragt sie da am Anfang aus dem Off. Fincher unterläuft mehrfach die Erwartungshaltung des Publikums und strapaziert damit auch an manchen Stellen die Glaubwürdigkeit der Handlung.

Der 52-Jährige ist ein Tausendsassa unter den US-Regisseuren. Bevor er so erfolgreiche Spielfilme wie „The Social Network“, „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ oder „Fight Club“ drehte, hat er als Spezialist für Spezialeffekte, Schauspieler, und Produzent gearbeitet und jede Menge Musikvideos gedreht, zum Beispiel Madonnas „Express Yourself“ und Stings „Englishman in New York“. Dazu kamen noch Werbung und andere Kleinigkeiten. Der Erfolg hat den Autodidakten mittlerweile so selbstsicher gemacht, dass er sich ein professorales Auftreten leisten kann.

Fincher gilt als Kontrollfreak, der seine Einstellung pedantisch vorbereitet und notfalls viele Einstellungen drehen lässt. Mehrfach hat er sich in seinen Filmen mit apokalyptischen Szenarien auseinandergesetzt. „Films That Scar“ (Filme, die Narben hinterlassen) hat Mark Browning seine Biografie des Regisseurs genannt. Im Gespräch holt er gern mal weit aus, doziert und bietet ellenlange Antworten von lexikalischem Umfang, aber auch Tiefgang an.

Superhelden-Filme interessieren ihn nicht. Davon gebe es schon zu viele, findet er. „Ich mag das weite Feld. Mich interessieren Charaktere, die lange Wege gehen müssen, um unseren Respekt zu gewinnen. Ich mag keine Charaktere, die sich beim Publikum einschmeicheln oder kriecherisch sind. Ich hasse diese Kino-Scharlatane, die dich nur um 20 Dollar aus deinem Portemonnaie erleichtern wollen. Das ist öde und entspricht niemand, den ich jemals getroffen habe.“

Wenn er über seine Arbeit spricht, kehrt er manchmal ein wenig den Leidenden heraus. „Als Regisseur genießt man einen Film nur, wenn man zum ersten Mal das Drehbuch liest. Von da an versucht man nur noch, die Dinge passend zu machen. Oder man versucht sich zu erinnern, warum man es beim ersten Lesen so aufregend fand oder wann man das Zutrauen zu einzelnen Charakteren verloren hat.“ Und dann kommt eine weitere dieser XXL-Antworten, in der er erzählt, wie oft er im Laufe des Arbeitsprozesses den Inhalt des Films verschiedenen Beteiligten immer wieder neu erzählen muss. Das beginnt bei Emma Watts und Jim Gianopulos, den Chefs von Twentieth Century Fox, geht über Ceann Chaffer, seiner Frau und Produzentin, und endet beim Kamerateam und den Set-Designern. „Aber jedes Mal, wenn du deine Geschichte erzählst, fällt mehr von dem langweiligen Quatsch heraus. Beim 1000. Mal erzählt man nur noch das gute Zeug. Wenn man nachher den fertigen Film sieht mit den Farbkorrekturen, den Special Effects, dem Soundmix, dem Abspann und den Logos, hast du ihn bestimmt 100-mal gesehen. Du weißt, wo jeder Schnitt sitzt. Dieses Erlebnis musst du wieder mit dem Gefühl verbinden, das du hattest, als du die Geschichte zum ersten Mal gelesen hast.“

Für die Hauptrolle hat er Rosamund Pike besetzt. Die Britin spielt hier ihre bislang größte Rolle. Als Amy verkörpert sie auf der Leinwand ein Einzel- und früheres Wunderkind – privat ist sie beides auch selbst. „Meine Vorstellung von Amy war durch Carolyn Besette geprägt“, sagt Fincher. Die US-Schönheit kam 1999 zusammen mit ihrem Ehemann John F. Kennedy, jr, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

„Rosamund ist exquisit“, lobt der Regisseur. „Die Tatsache, dass sie aussieht wie Fay Dunaway in ‚Bonnie and Clyde‘, schadet ihr nicht gerade.“ Dabei sieht sie auch aus wie eine dieser kühlen Blondinen, die Hitchcock nur zu gern in Szene setzte. Eine Hommage an den Altmeister ist Finchers Film auch. Aber wer wollte ihm das verdenken?