Dem Charles-Manson-Musical im Thalia Theater fehlt es an jeder Positionierung

Hamburg. Können böse Menschen gute Lieder schreiben? Sogar Charles Manson, Massenmörder, Mordanstifter, Sektenführer und Mädchenverführer hat ein paar zarte Folk-Balladen fertiggebracht. Mit hemmungslos harmonischen Melodien, wie sie in der Zeit der Hippies, Ende der 60er-Jahre in Mode waren. Wird man zum Massenmörder, weil man keinen Plattenvertrag bekommt? Eine Frage, die Regisseur Stefan Pucher umtreibt.

In seinem als „Musical“ getarnten Projekt „Charles Manson: Summer of Hate – Das Musical“, das er jetzt im Thalia Theater zur Uraufführung brachte, gibt es keinen Löwenkönig, es erklingen keine Songs zum Mitsingen, es gibt Liebe, ja, schon, aber schon bald kippt sie um in Hass.

Auf der Bühne von Stéphane Laimé türmt sich Wüstensand, ein hölzernes Gehäuse markiert die Spahn-Ranch, auf der sich Charles Manson 1967 mit seiner wachsenden Sektenfamilie niederließ. Interviewszenen aus jenem Gefängnis werden nachgestellt, in dem Manson lebenslang einsitzt und sich ohne Unrechtsbewusstsein bis heute als missverstandener Neuzeit-Jesus, Verkünder der Rasse-Apokalypse und Popstar inszeniert. Tilo Werner, Sebastian Rudolph und Jörg Pohl üben sich nacheinander mit Langhaarperücken, Hippiehemden und Lederfransen in der manipulativen Rhetorik des Psychopathen, der seine überwiegend weiblichen Jünger dazu gebracht hatte, acht bestialische Morde zu begehen, darunter jenen an der hochschwangeren Schauspielerin und damaligen Ehefrau von Roman Polanski, Sharon Tate. Alicia Aumüller, Franziska Hartmann, Maja Schöne geben ansehnliche und gesangsstarke Kommunardinnen und später Engel des Bösen ab, Tabita Johannes und Miriam Strübel weniger.

Nur in wenigen Momenten liefern die Schauspieler Hintergründiges

Der hier verhandelte Inhalt ist allerdings fast gänzlich auf Wikipedia oder ausführlicher in Vincent Bugliosis Prozessdokumentation „Helter Skelter. The True Story of the Manson Murders“ nachzulesen. Und damit offenbart sich das Dilemma der Inszenierung, der über das Dokumentarische hinaus jede Positionierung fehlt. Es sind wenige Momente, in denen die Schauspieler Rudolph oder Pohl ans Mikrofon treten und Fingerzeige auf Hintergründiges liefern. „Ich komme aus der Depression, wo es keine Väter gibt, nur die Väter, die aus dem Zweiten Weltkrieg kamen“, sagt etwa Pohl-Manson. Aber erlöst ein eigenmächtig ausgerufener „heiliger Krieg“ wirklich alle Mittel? Bis heute ein fragwürdiges, gefährliches Unterfangen. Am Ende kleistert die so harmonisch über einen hinwegtröpfelnde entschleunigte Folk-Musik ohnehin jeden Gedanken schmerzlos zu.

„Charles Manson: Summer of Hate – Das Musical“ 3.10., 19.00, 6.10./22.10., jew. 20.00, Thalia Theater, Alstertor, Karten T. 32 81 44 44