Zu viel Stoff für eine Schulstunde: Die am Gymnasium Altona gedrehte ZDF-Dokumentation bleibt Antwort auf die selbst gestellte Frage schuldig

Lehrer – das ist wohl der einzige Beruf, bei dem jeder meint, mitreden zu können. Schließlich herrscht in Deutschland Schulpflicht, alle waren einmal Schüler. Dass die Schule, wie man sie aus der Schülerperspektive kennt, nur bedingt mit dem Arbeitsplatz Schule zu tun hat, gerät dabei gern aus dem Blick. Vorurteile wie „Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei“ sind immer noch weitverbreitet. Und auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte zumindest Mitte der 90er-Jahre, als er noch niedersächsischer Ministerpräsident war, eine klare Meinung zum Berufsstand: Lehrer seien „faule Säcke“.

Die ZDF-Dokumentation „Wie gut sind unsere Lehrer?“ versucht, Vorurteilen auf den Grund zu gehen und darzustellen, wie der Schulalltag tatsächlich aussieht.

Dazu hatten die Autorinnen Nicola Burfeindt und Gesine Müller zusammen mit ihrem Team in zwei Klassen am Gymnasium Altona Kameras installiert, die über ein halbes Jahr hinweg das Unterrichtsgeschehen aufzeichneten. Eine 7. und eine 8. Klasse samt ihrer Klassenlehrer Thorsten Puderbach und Constanze Kober ließen sich sechs Monate lang über die Schulter schauen. Trotzdem ist der Erkenntnisgewinn der ausführlichen Dreharbeiten und der dazugestellten Einschätzungen von Experten und Menschen, die das ZDF als Experten anzusehen scheint, relativ gering.

Am ausführlichsten darf sich Richard David Precht äußern, der Haus-und-Hof-Denker des Zweiten. Was diesen abseits seines im vergangenen Jahr publizierten und nahezu durchgängig verrissenen Bildungs-Utopia „Anna, die Schule und der liebe Gott“ zum ausgewiesenen Vordenker in Sachen Schule macht, bleibt ebenso ungeklärt wie der Kurzauftritt des Schauspielers Ingo Naujoks. Abseits der Tatsache, dass er Vater ist, war Naujoks bislang keiner pädagogischen Expertise verdächtig.

Die vielen Hundert Stunden Filmmaterial aus den Hamburger Schulklassen, sie verpuffen in der gerade einmal 45 Minuten langen Dokumentation zu Momentaufnahmen. Und die zeigen in erster Linie anschaulich, dass es in deutschen Schulklassen laut ist, sehr laut, und dass pubertierende Schüler oftmals andere Prioritäten als den Unterricht haben. Das sind unbestritten Stressauslöser, aber sicherlich keine ganz neuen Erkenntnisse. Darüber hinaus erfährt man nur wenig über die Herausforderungen, vor denen Lehrkräfte heute stehen. Es gibt einen Blick in eine Klinik, in der Burn-out-Patienten behandelt werden, und einen in ein Seminar der Universität Bamberg, in dem Lehramtsstudenten durch Rollenspiele auf den Schulalltag vorbereitet werden sollen. Dazu gesellen sich Aufnahmen aus Finnland und den Niederlanden, die einmal mehr trotz allenfalls bedingter Vergleichbarkeit der Schulsysteme als Vorbild für Deutschland herhalten sollen.

„Wie gut sind unsere Lehrer?“ will zu viel. Statt auf die konkreten Fälle zu fokussieren, den Schüler- und Lehreralltag tatsächlich darzustellen, driftet die Dokumentation in allgemeine Diskussionen darüber ab, was gute Schule, guten Unterricht, gute Lehrer ausmacht. Die Vielzahl der Nebenakteure verwässert die Botschaft zusätzlich. Neben Naujoks und Precht dürfen Menschen wie Philipp Möller und Melda Akbas ihre Thesen vorstellen. Der eine ist Diplom-Pädagoge, hat zwei Jahre lang als Vertretungslehrer gearbeitet und diese Erfahrungen im Buch „Isch geh Schulhof“ zu Papier gebracht. Die andere hat ebenfalls publiziert, und zwar ihre eigene, erst wenige Jahre zurückliegende Schulzeit: „Warum fragt uns denn keiner? Was in der Schule falsch läuft“ heißt das Buch. Als tatsächlich sachkundige – wenn auch nicht unumstrittene – Forscher treten daneben Barbara Hannover vom Aktionsrat Bildung und Andreas Schleicher auf, der Internationale Koordinator der PISA-Studien.

Die selbst gesteckten Ziele erreicht „Wie gut sind unsere Lehrer?“ nicht. Weder wird die Titel gebende Frage schlüssig beantwortet, noch liefert der Film eine, wie es in der Ankündigung des ZDF heißt, „kritische, aber faire Bestandsaufnahme des deutschen Bildungssystems“. Schon weil der Beitrag in keiner Weise darauf eingeht, dass nicht nur die Ausbildung der Schüler, sondern auch die der Lehrer in Deutschland föderal organisiert ist. Das eine deutsche Bildungssystem, das gibt es nicht. Weder an den Universitäten noch an den Schulen. Und vom Alltag der beiden Klassenlehrer zwischen Unterricht, Vor- und Nachbereitung, zwischen Elternabend und Klassenfahrt, von dem bekommt man auch viel weniger zu sehen, als wünschenswert wäre.

So taugt „Wie gut sind unsere Lehrer?“ allem technischen Aufwand zum Trotz doch maximal als Anstoß zu einer tatsächlichen Diskussion über Gegenwart und Zukunft des deutschen Bildungssystems.

„ZDFzeit: Wie gut sind unsere Lehrer?“, Di 20.15 Uhr, ZDF