Hamburg. Es war schon vor 13 Jahren ein großer Wurf, den John Neumeier mit „Giselle“ geschaffen hatte. Am Sonntag wurde der Abend nun begeistert vor ausverkauftem Haus erneut gefeiert. Wo sonst kann man hier eine Aufführung von dieser Qualität sehen? Die Primaballerina Alina Cojocaru indes ist leider, leider nicht Mitglied der Compagnie, sondern als Gast engagiert. Das Bauernmädchen Giselle tanzt sie technisch perfekt. Doch beherrscht sie die Kunst, so tief empfunden, so beseelt zu tanzen, dass sie ihr Publikum zutiefst anrühren kann. Glied für Glied lässt sie zum Ende des ersten Teils die niederschmetternde Erkenntnis durch ihren Körper brechen, dass der verkleidete Albrecht (Alexandr Trusch) sein Spiel mit ihr getrieben hat.

Trusch, der neue Erste Solist, tanzt mit ihr makellose Pas de deux. Aber noch ist er kein sehr differenzierter Darsteller. Seine Stärke entfaltet er in flüssig-sauberen Drehungen und auffallend hohen, kraftvollen Sprüngen. Miljana Vracaric gibt die schreckensstarre Mutter, die einen erschaudern lässt. Der zweite Teil im von kalter Lichtung erhellten Nachtwald bleibt ein Wunderwerk des klassischen Balletts, ein klirrend schreiender Geisterreigen mit einem uhrwerkartig eingespielten Tänzerinnen-Corps.