Die ARD bringt ihr deutschlandweites Klassik-Educationprojekt mit einer Liveübertragung der Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ aus Hamburg zu Ende

Hamburg. Gut sechseinhalb Monate lang befand sich ganz Schuldeutschland im Anton-Dvorak-Fieber. Anfang Februar dieses Jahres hatte die ARD eine multimediale Musikvermittlungsinitiative unter dem Motto „Das Dvorak-Experiment: Ein ARD-Konzert macht Schule“ angekündigt. Freitagvormittag nun ging das Educationprojekt mit einer Aufführung der Sinfonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“ zu Ende, die von allen Kulturradios der ARD und dem Videostream von Arte Concert live aus dem Rolf Liebermann Studio des NDR übertragen wurde. In vielen Klassenzimmern und Schulaulen saßen Schüler und hörten zu, wie das NDR Sinfonieorchester und das NDR Jugendsinfonieorchester unter der Leitung von Thomas Hengelbrock jenes Werk spielten, mit dem sie sich im Unterricht so lange beschäftigt hatten.

Dennoch war das Matineekonzert weniger Höhepunkt als dramaturgische Ziellinie der Unternehmung. Es markierte gewissermaßen das Sahnehäubchen auf dem gigantischen Dvorak-Kuchen, den 22.000 Schüler aus mehr als 300 Schulen in Deutschland im Lauf des letzten halben Jahres aus vielen, teilweise sehr heterogenen Zutaten höchst kreativ zusammenbuken.

Die vier Sätze der Sinfonie wurden von Zuspielungen und Zwischenmoderationen unterbrochen. So sah und hörte man nach dem ersten Satz 400 Kinder aus Berlin und Brandenburg auf aus Pappröhrchen selbst gebauten Panflöten die elegische Englischhorn-Melodie spielen, die auf den Blechbläserchoral am Anfang des Largo folgt. Auch der Siegerfilm des Wettbewerbs „Klassik, was guckst du“ wurde gezeigt – eine lustige Melange aus Trickfilm und Kinder-Doku, genau auf die dramaturgischen Spannungskurven der Musik erzählt und geschnitten.

Auch wenn das verspielte kleine Werk unübersehbar unter der Betreuung einer professionellen Filmemacherin entstand, zeigt der zauberhafte Film der Klasse 5b der Konrad-Agahd-Schule aus Berlin-Neukölln sehr schön, welche Fantasie Dvoraks Musik in den Köpfen der Kinder freizusetzen vermag. Manche Klassen nutzten einzelne Sätze der Sinfonie als Klangfolie für Filme aus dem Alltag der Schüler, was für den Anfang eines solchen Projekts auch ganz in Ordnung geht. Trotzdem sollte in der Zukunft der Schwerpunkt auf rein musikalischen Beschäftigungen mit der jeweiligen Komposition liegen. Sonst läuft das Projekt, das doch darauf angelegt ist, Klassik spielerisch im Bewusstsein von Teenagern und Kindern Anker werfen zu lassen, Gefahr, Musik auf ihre Funktion als Soundtrack zu reduzieren. Doch gab es auch spannende und einfallsreiche musikalische Reflexionen auf die „Neue Welt“ – etwa einen selbst produzierten Rap oder die Übertragung von Melodien auf unterschiedlich hoch gefüllte, angeblasene Bierflaschen. Das Konzert und die Schülerbeiträge sind abrufbar im Netz unter www.schulkonzert.ard.de.

Dass manche Musiker des NDR Sinfonieorchesters bei diesem Auftritt in ihrem Probensaal noch etwas müde aussahen, dürfte dem Konzertabend zuvor geschuldet gewesen sein. Da hatten sie in der Laeiszhalle ebenfalls Dvoraks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ gespielt – ungemein fokussiert, atmend und äußerst muskulös überall dort, wo Kraft gefordert ist in diesem an großartigen Melodien und Passagen überreichen Gassenhauer der Konzertliteratur.

Unter Thomas Hengelbrocks Leitung übte sich das Orchester in kollektiver Zauberei. Immer noch und immer wieder ein Wunder, wie dieses zuvor ja schon bei Gott nicht ganz talentfreie Orchester in den vergangenen drei Jahren mit ihm zu einer unerhörten Freiheit des Zusammenspiels aufgeblüht ist. Ohne ihren Willen und ihr Vermögen zur Präzision in allem Technischen im Mindesten zu schwächen, haben die NDR-Sinfoniker nichts Geringeres entdeckt als die Seele ihres Orchesters; wie sie diese Entdeckung mit dem Publikum teilen, ist schlichtweg beglückend.

Mit der Geigerin Lisa Batiashvili spielten sie zuvor das Violinkonzert des großen Dvorak-Förderers und -Freunds Johannes Brahms (Kadenz: Ferruccio Busoni). Im ersten und im letzten Satz gab es minimale Koordinationsunschärfen, aber so lebendig und in weiten Räumen differenziert erklang das Werk in Hamburg lange nicht. Auch die Solistin spielt mit dieser Radikalität, in der das offene Herz und technische Perfektion zwei Seiten derselben Medaille sind. Manche ihrer Töne klangen wie frisch gefunden, tastend, ultrafiligran; Geist und Tücken des geigerisch undankbaren Werks hatte sie souverän im Griff (Wiederholung am 21.9., 11.00).