Sein Auftritt gehört zu den Höhepunkten des Harbour Front Literaturfestivals: Bestsellerautor Frank Schätzing präsentiert seinen Roman „Breaking News“. Im Interview erklärt der Kölner, was er über den Israel-Palästina-Konflikt denkt – und wie er die Buchkultur verteidigen will

Er gehört zu den wenigen deutschen Stars der internationalen Literaturszene: Frank Schätzing hat es mit seinem vor zehn Jahren veröffentlichten Buch „Der Schwarm“ geschafft, in 27 Ländern mittlerweile mehr als 4,5 Millionen Exemplare zu verkaufen. Unumstritten war er aber dennoch nie, Kritiker bemängelten den literarischen Gehalt seiner stets akribisch durchrecherchierten Werke. Das gilt auch für den Politthriller „Breaking News“, der im Frühjahr dieses Jahres erschienen ist und in dem Schätzing entlang einer Kriegsreporter-Story auf fast 1000 Seiten nicht weniger als die Geschichte Israels aufarbeitet. Den Lesern ist die Kritik egal, sie stürmen in die Lesungen des 57-Jährigen, der am 27. September auch im Rahmen des heute beginnenden Harbour Front Literaturfestivals auftreten wird. Bei einem Gespräch in der Bar des Hotels Atlantic sprach Schätzing mit Abendblatt-Redakteur Jörn Lauterbach über die Situation in Israel, den islamistischen Terror und seine Lesung. Erstmals kündigt Schätzing an, sich an dem Protest deutscher Autoren gegen die Praktiken des Internet-versandhandels Amazon beteiligen zu wollen.

Hamburger Abendblatt: Herr Schätzing, für Ihren Politthriller „Breaking News“ haben Sie selbst in Israel recherchiert, das war vor etwa zwei Jahren. Haben Sie da schon gespürt, dass eine Eskalation, wie wir sie zuletzt erlebt haben, bevorstehen könnte?
Frank Schätzing: Nein, jedenfalls nicht in dieser Form. Ich war in Israel und auf der Westbank, da spürte ich auf beiden Seiten eher ein großes Bedürfnis nach Normalität. Aber unter der Oberfläche wurde deutlich, dass eigentlich keines der Probleme, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu Gewalt führten, gelöst worden war. In Nablus etwa, der Hochburg der zweiten Intifada, gehen Sie durch eine tolle Altstadt mit vielen netten Menschen. An einigen Häusern sehen Sie aber auch die Codierung für die Untergrundgruppen, die sie als Außenstehender erst gar nicht verstehen. Da wird klar: Man muss hier nur einen Schalter umlegen, dann explodiert gleich wieder alles. In Gaza ist es so gekommen.

Sie waren damals ja nun kein Israel-Experte. Was glaubten Sie denn, dort bei einem Besuch erfahren zu können, um dann gleich ein 1000 Seiten starkes Buch zu schreiben?
Schätzing: Es gab schon mehr Recherche als diesen Besuch, etwa viele Gespräche mit Experten und viel Literaturstudium. Ich wollte aber ein Gefühl davon und auch ein Wissen darüber bekommen, wie diese verkantete Situation von heute entstanden ist, und ich wollte das genauer wissen, als es durch eine schnelle Internetrecherche möglich ist. Es bringt nicht viel, sich am Status quo abzuarbeiten, so kann man kein tieferes Verständnis entwickeln. Deswegen fing ich an zu graben, bis ich bei den alten Israeliten angekommen war. Von dort aus ging es zurück in die heutige Zeit, dann aber mit einem geschärften Blick.

Und so haben Sie dann den uralten Konflikt verstanden?
Schätzing: Auf einer akademischen Ebene schon. Nur, wenn man die Region besucht, beginnt der viel schwierigere Prozess, weil der Kampf der Ideologien hinter den Einzelschicksalen verblasst. Ideologien sind Konstrukte, die Schicksale aber sehr real. Jeder hat seine eigene Geschichte zu erzählen, jede klingt ein bisschen anders, selbst die Haltung von Extremisten, deren Handeln man eigentlich ablehnt, wird vor dem Hintergrund ihres persönlichen Werdegangs, aus dem sie ihren Kampf ableiten, verständlich.

Das macht eine tragfähige Lösung so schwierig, wie die Welt jetzt gerade wieder sieht.
Schätzing: Sie brauchen stabile Mehrheiten für eine Lösung, und die sind durch jeden neuen Anschlag oder Angriff wieder gefährdet. Auf beiden Seiten, bei Palästinensern und Israelis, haben die meisten längst resigniert. In Israel herrscht nach all den vielen gescheiterten Anläufen die Meinung vor: Es ist doch egal, wie wir uns verhalten, es macht keinen Unterschied – sie bekämpfen uns so oder so.

Der ideale Nährboden für Radikale auf allen Seiten.
Schätzing: Absolut. Die nationalreligiösen Siedler etwa haben – obwohl in der Minderheit – Israels Politiker in einer Art Geiselhaft genommen, sie stilisieren sich als den verlängerten Arm des Messias. Und die ebenfalls von der Religion geleiteten Kämpfer der Hamas wollen auch keinen Konsens. Es geht um Gott, aber auch ganz profan um Macht. Beide wissen, dass sie in Friedenszeiten nicht mehr die Rolle spielen werden, die sie jetzt für sich reklamieren können. Im Frieden werden sie nicht mehr gebraucht. Also schüren sie den Konflikt. Die Hamas hat politisch auf allen Gebieten versagt und nichts hinbekommen in Palästina. Ihre einzige Chance war und ist die Eskalation.

Sind Sie selbst religiös?
Schätzing: Nein, gar nicht. Aber ich verweise, bevor wir mahnend den Finger heben, gern auf die vielen Religionskriege im europäischen Abendland. Manchmal muss man durch die Eskalation durch, um zu verstehen, dass das nicht der Weg sein kann. Vor noch 100 Jahren hätte hier in Europa niemand gedacht, dass wir mal in einem engen Verbund befreundeter Völker leben würden. Ich habe durchaus Hoffnung für Nahost, auch wenn wir jetzt in einer Phase sind, wo die im Kalten Krieg und durch Diktatoren unterdrückten religiösen Konflikte brutal aufbrechen.

Nach dieser These wäre es das Beste, einfach zuzuschauen und abzuwarten, oder?
Schätzing: Nein, man muss sich schon engagieren. Aber man sollte nicht zu große Hoffnungen auf Friedensverträge setzen, die der Westen aushandelt und den dann Politiker unterschreiben. Der Frieden muss von den Völkern ausgehen. Schon gar nicht sollte man versuchen, der Region mal eben unsere Vorstellungen von Frieden überzustülpen.

Was hieße das aber für andere arabische Länder, in denen die IS-Terrorgruppe wütet? Und wie soll sich dann der Westen verhalten?
Schätzing: Unsere Waffe ist die Diplomatie und muss es bleiben. Was uns in Einzelfällen nicht davon befreit, militärische Hilfe zu leisten. In der Weltgemeinschaft sind wir unauflöslich miteinander vernetzt. Jeder Krieg, wo immer er ausgetragen wird, setzt sich in Stellvertreterkriegen anderswo fort – etwa durch Terroranschläge. Die IS-Terroristen sind eine Mörderbande, die ganze Völker bedroht, vor allem aber bedrohen sie unmittelbar die Menschen im Irak und in Syrien. Wo Diplomatie nicht so schnell greifen kann, wie der IS dort Menschen massakriert, muss man dessen Vormarsch kurzfristig auch militärisch stoppen. Aus humanitären Gründen. Und zugleich alles daransetzen, den Nährboden der Gruppe auszutrocknen. Ein erster Schritt wäre eine irakische Einheitsregierung aus Sunniten und Schiiten. So oder so, schnell wird das Problem IS nicht erledigt sein, da darf man sich keine falschen Hoffnungen machen.

Ihr Buch „Breaking News“ ist – bezogen auf den Nahostkonflikt – sehr deskriptiv gehalten. Haben Sie sich vor Wertungen gescheut?
Schätzing: Mir ging’s nicht um Wertungen. Ich habe die Perspektive des Astronauten eingenommen, um überhaupt erst mal Strukturen zu erkennen, historische Verläufe, Ursache und Wirkung. Und mich dann der Sache genähert. Aus der Sicht der Menschen dort unten geschrieben. Also nicht aus dem Blickwinkel eines Deutschen, sondern eines Bewohners dieses Planeten, der verstehen möchte, warum es in einigen Gegenden partout keinen Frieden gibt. Meine persönliche Wertung ist dabei irrelevant.

Sie verbinden reale, geschichtlich dokumentierte Abläufe mit der fiktionalen Geschichte eines Kriegsreporters. Ist das nicht gefährlich?
Schätzing: Ich hatte diesen Thriller-Plot vor Augen, eine Verschwörung rund um den Tod von Ariel Scharon, und wollte zunächst einfach nur einen guten Unterhaltungsroman schreiben. Zugleich war ich mir der Verantwortung bewusst, in diesem komplexen geschichtlichen Umfeld keine Fehler zu machen, keine Ressentiments zu bedienen. Das fiktionale Element verzerrt die Geschichte nicht, es pointiert sie. In Deutschland wird das oft getrennt, ernsthafte und unterhaltsame Literatur, aber es geht beides gleichzeitig. Wenn ein Roman einen empathischen Zugang zu einem schwierigen Thema ermöglicht, ist das eine Chance, besser zu verstehen, was real passiert.

Wie wollen Sie aber diese komplexe Thematik bei einer Lesung, wie wir sie beim Harbour Front Literaturfestival erleben werden, vermitteln? Einfach ein Tisch und eine Leselampe ist Ihnen ja gewöhnlich zu wenig.
Schätzing: Stimmt, dafür bin ich nicht so der Typ. Eine Lesung soll unterhaltsam sein, aber gerade bei diesem Thema ist eine allzu bunte Show unangebracht. Also gibt’s diesmal gar keine Bilder. Bei „Breaking News live“ setze ich rein auf die Möglichkeiten der Akustik; es gibt zwei Lesepassagen, die ich selbst performe, bei gelöschtem Licht. Diese Passagen sind eingebettet in einen kinoreifen Soundtrack aus Musik und Originalgeräuschen, die ich teils vor Ort aufgenommen habe, beispielsweise in Nablus auf dem Markt. Diese Klangquellen werden auf so viele Boxen verteilt, dass das Gefühl entsteht, mitten in der Szenerie zu sitzen. Sehr suggestiv.

Viele Besucher würden Sie aber dennoch sicher auch gern mal sehen.
Schätzing: In der zweiten Hälfte des Abends sehen sie mich ja auch! Da erzähle ich – bei Licht – von meiner Zeit in Israel und von der Entstehung des Buches. Da kommen die Hintergründe des Konflikts zur Sprache, aber nicht wie in einer Geschichtsvorlesung, sondern sehr anschaulich und locker. Es geht auch um den Alltag und den Humor der Menschen. Dann wieder überlassen wir der Musik das Feld. Ofrin, eine israelische Sängerin, die in Berlin lebt, bringt die Stimmung des Buchs auf ihre ganz eigene Weise rüber. Sie ist fantastisch.

Eines der Themen, die die Literaturszene bewegen, ist der Protest vieler Schriftsteller gegen die Ranking- u. Geschäftspraxis von Amazon. Verstehen Sie das?
Schätzing: Ich werde den Protestbrief unterschreiben. Man muss Flagge bekennen. Polemik ist allerdings unangebracht, Amazon ist ein wichtiger Vertriebskanal. Für mich lautet die Frage: Wohin entwickelt sich Kultur? Wie kann ich die Möglichkeiten der Kulturschaffenden vergrößern? Amazon bietet Autoren sehr offensiv an, online zu publizieren, ohne große Verlagsapparate mitzufinanzieren. Aber das ist eine Scheinfreiheit, denn an qualitativer Betreuung oder an Lektorat kann nichts geboten werden. Ohne die klassischen Verlage, ohne den Buchhandel, ohne Preisbindung wird sich das von Amazon versprochene Autorenparadies schnell in sein Gegenteil verkehren. Es wird nur noch darum gehen, den Knüller mit den meisten gelben Sternchen zu schreiben. Viele werden nichts mehr verdienen und von der Bildfläche verschwinden. Auf diese Weise verarmt Kultur. Wir müssen mit Amazon einen konstruktiven Dialog führen. Es geht nicht darum, den Online-Handel zu verteufeln, sehr wohl aber darum, Amazon Grenzen aufzuzeigen.

Sie sind ein Bestsellerautor, „Breaking News“ hatte eine Startauflage von 500.000 Exemplaren. Würden Sie persönlich nicht zu den Gewinnern gehören?
Schätzing: Allenfalls kurzfristig. Bestsellerautor ist man ja nicht kraft Gesetzes oder auf Lebenszeit. Wer weiß, wie sich meine Bücher in zehn Jahren verkaufen? Aber es geht in der Debatte nicht um mich. Es geht um den Werterhalt von Kultur. Diesen Wert müssen wir verteidigen.