Ein Fest für Augen und Ohren: Glucks kleines Meisterwerk „Orfeo ed Euridice“ mit den Musiciens du Louvre beim Bremer Musikfest

Bremen. Gleich am Anfang platzt die goldene Barock-Krinoline auf, und eine Frau fällt aus ihr heraus in die Tiefe: Euridice wird von Orfeo getrennt und gleitet dem Tod in die Arme. Die wuchtige Krinoline entweicht in den Bühnenhimmel, und Orfeo steht alleine da. Regisseur Ivan Alexandre hat für die erste Szene der Oper „Orfeo ed Euridice“, die beim Musikfest Bremen mit den Musiciens du Louvre unter dem sehr dynamischen Marc Minkowski zu erleben war, gleich ein stimmiges Bild gefunden, das alles Wichtige zusammenfasst. Auch für die Tatsache, dass Christoph Willibald Gluck, der dieses kleine, tief zu Herzen gehende Meisterwerk komponiert hat, die starren Formen der barocken Opera Seria abwerfen und etwas Neues erschaffen wollte. Etwas tief Wahrhaftiges. Der kluge Marc Minkowski hat von Gluck dessen Wiener Fassung von 1762 ausgewählt, fast frei von Balletteinlagen, was Glucks Purismus noch unterstreicht.

Der Countertenor Bejun Mehta, der mit seiner überirdischen, nuancenreichen Stimme die Rolle ganz in sich aufgenommen hat und eine Idealbesetzung ist, gibt hier folglich nicht den Sängerstar, der sich in barocken Verzierungen spreizt, sondern Orfeo, den Menschen, der seine Liebste verloren hat und das Klagen und Flehen nicht lassen kann. Todtraurig und verzweifelt ist er, und dann, als Amor (frisch und sportlich: Ana Quintans) ihm einen Ausweg beschreibt, zu allem entschlossen. Die feinnervig agierenden Sänger des Cor Cambra del Palau de la Música Catalana bilden in ihrer Beweglichkeit die sorgsam austarierten Stimmen des Unbewussten, mal als zürnende Eumeniden, mal als triumphal das Leben feiernde Götterschar, die sich ganz menschlich nahekommt.

Das Bühnenbild dieser schönen, werktreuen Inszenierung gleicht einem Rahmen, der sich ins Unendliche spiegelt, links und rechts hat Pierre-André Weitz eng gesetzte schwarze Fächer übereinander gebaut, in denen der Chor Platz findet. Die Handlung wird getragen, getrieben, gehalten oder durchwirbelt von vielen, rau auffahrenden Streicherbögen. Chiara Skerath singt die verwirrte Euridice mit warmem Sopran – und es kann eigentlich niemanden überraschen, dass sie sich aus Enttäuschung doch lieber an den schönen Sensenmann schmiegen will, als mit dem klagenden Orfeo mitzugehen, der sie noch nicht mal ansieht. Lieben ohne zu sehen – was für eine harte Probe die Götter da gesetzt haben ...

Nach 80 Minuten hat sich die Geschichte von Orfeo und Euridice mit einer solchen Finesse und emotionalen Tiefe entfaltet, dass man mit Glück übergossen das Theater verlässt.