Beim diesjährigen Tonali-Wettbewerb treten in Hamburg hoffnungsvolle Nachwuchsgeiger gegeneinander an. Heute startet die Konzertreihe

Hamburg. Alexey Stadler ist mit seinen 23 Jahren nicht nur der Senior unter den drei Youngstern, die die bisherigen Tonali-Wettbewerbe in Hamburg für sich entscheiden konnten. Wären die drei ein Gangstertrio, ginge fraglos er als der Planer durch, das Brain, das Superhirn. Der Cellist aus St. Petersburg entstammt einer Musikerfamilie und steuerte schon seine Kindesbeine zielstrebig ins Marijinsky-Theater und in andere Konzertsäle, wann immer es ging. So ungefähr 300-mal im Jahr sei er schon als Dreikäsehoch im Sinfoniekonzert und in der Oper gewesen, erzählt Stadler. Das prägt. Und seine Passion hat ihn nie losgelassen. Dieser junge Mann mit dem weichen Gesicht und der lieben 70er-Jahre-Frisur spielt nicht nur fantastisch Cello und weiß ungeheuer viel über Musik. Er atmet sie, er läuft auf ihr. Er deckt sich mit ihr zu, er lebt in ihr.

Drei frühere Tonali-Sieger und Elbtonal Percussion treten zusammen auf

Darum musste es auch Alexey Stadler sein, der hinter dem Auftrag von Tonali an die drei Sieger, am heutigen Montag zur Eröffnung des vierten Tonali-Wettbewerbs die 15. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch in der Fassung für Klaviertrio und Perkussion zu spielen, einen tieferen Sinn erkennt. „Es ist schon etwas Besonderes, mit diesem Stück einen Jugendwettbewerb zu eröffnen“, sagt Stadler. „Ich kenne Dirigenten, die wagen sich an das Stück nicht, ehe sie 60 sind. Die 15. Sinfonie war das letzte Stück, das Schostakowitsch komponiert hat, ein absolut geniales Werk. Da war er schon nicht mehr ganz auf der Erde.“

Und noch etwas ist ihm aufgefallen: „Mit diesem Eröffnungskonzert schließt Tonali auch etwas ab. 2010 fing es an mit Violine, 2012 kam das Cello dran, im vergangenen Jahr das Klavier. Am Dienstag geht es mit dem Wettbewerb unter jungen Geigern dann wieder von vorne los.“

Als wäre die Welt der Musikwettbewerbe ein Computerspiel, vollendet sich mit Schostakowitschs bewegendem Schwanengesang also das erste Leben von Tonali. Wie viele solcher Leben mögen diesem noch so jungen und irgendwie gänzlich anderen Player unter den bedeutenden Instrumentalwettbewerben in Deutschland vergönnt sein? Sein erstes Leben dauerte vier Jahre, die künftigen werden kürzer sein. Denn schon seit 2012 findet Tonali, ursprünglich im Biennale-Rhythmus konzipiert, jährlich statt.

Diesmal wetteifern aufs Neue zwölf Geiger mit Lebens- oder Arbeitsmittelpunkt Deutschland, Höchstalter 21 Jahre, um den Hauptpreis (10.000 Euro). Aber weil Tonali in nahezu jeder Hinsicht anders ist als andere Wettbewerbe, nachhaltiger, überlegter, jünger und humaner, begreifen die Initiatoren, die beiden Cellisten Amadeus Templeton und Boris Matchin, die glorreichen Zwölf weniger als Wettbewerbsteilnehmer denn als Stipendiaten. Sie haben mit diesen jungen Leuten etwas vor, das weit über diese mit Preisrunden und Nebenprogramm randvoll gestopfte Woche hinaus geht. Etwas, das ihr Leben verändern wird.

Ein Spätsommervormittag im Gewerbegebiet von Stellingen. Hier liegt der Proberaum von ElbtonalPercussion, dem renommierten Hamburger Spezial-Ensemble für mit Händen und Sticks musikalisch sinnvoll zerschlagene Zeit. Der Proberaum ist eine kleine Halle, vollgestellt mit Instrumenten und Zeug. Die drei Tonali-Gewinner sitzen traulich vereint beisammen und pflügen sich bei der ersten Probe nicht etwa durch die Noten, sondern machen vom ersten Ton an gemeinsam Musik. Zuletzt haben sie sich im November vorigen Jahres gesehen, wo sie zweimal Anton Dvoráks nicht eben einfach zu spielendes „Dumky-Trio“ aufführten.

Im Rücken von Alexey Stadler und Christina Brabetz, der Geigerin, die vor vier Jahren den ersten Tonali-Wettbewerb gewann, agieren drei der Virtuosen von Elbtonal. Die sind auch noch ganz schön jung, aber im Vergleich zu ihren Gästen schon alte Hasen. Brabetz ist noch keine 21, die Vorjahressiegerin Elisabeth Brauß, die hinter dem herrlich verstimmten kleinen braunen Klavier sitzt, gerade mal 19 Jahre alt.

Nach dem ersten Durchlauf macht Stephan Krause von Elbtonal den jungen Leuten ein Kompliment: „Wir sind mit dem Stück vor acht Jahren sogar mal auf Tournee gegangen, aber mit euch geht das viel besser. Ihr spielt das wunderbar, ganz durchsichtig.“ Und sein Kollege Jan-Frederick Behrend, der Marimba und Gong und Glockenspiel und Triangel und Woodblocks und Orchesterbecken und wohl noch ein halbes Dutzend weiterer Instrumente um sich versammelt hat, sagt selbstkritisch-entspannt: „Wir von Elbtonal müssen mit euch eigentlich nur aufpassen, dass wir nicht pennen.“

Tatsächlich zeigen die drei Tonali-Musiker beim Musikmachen eine Haltung, die an den Titel einer der „Kinderszenen“ von Robert Schumann erinnert: „Fast zu ernst“. Sehr berührbar durch die Musik, zugleich staunenswert professionell und effizient. Aber das muss wohl so sein, wenn man schon so früh im Leben weiß, dass man sich in die oberste Oberliga der Solisten emporspielen will.

Und die Chancen stehen für alle drei ziemlich gut. Denn im Unterschied zu vielen anderen Wettbewerben auf nationalem Niveau hat sich Tonali für die bisherigen Preisträger tatsächlich als Türöffner in die Konzertsäle der Republik bewährt. Dort zu reüssieren, dafür studieren, üben und spielen sie von früh bis spät, und man wünscht ihnen, dass ihnen genügend Zeit bleibt, vom Glück und Schmutz des Lebens auch abseits der Noten zu erfahren.

Die Musikwelt in Deutschland schaut nicht nur auf diesen Preis. Sie registriert aufmerksam, wie sich das künstlerisch-pädagogische Gesamtkunstwerk Tonali so langsam zu etwas entwickelt, das an ein kulturelles Pendant zum WWF denken lässt. In ihrem Jahr für Jahr dichter vernetzten Tun siedeln die beiden pragmatischen Visionäre Amadeus Templeton und Boris Matchin die vom Aussterben bedrohte Art Klassik gezielt in einem neuen Habitat an. Dort schaffen sie Bedingungen dafür, dass diese so tiefe, dabei oft von sehr jungen Komponisten geschriebene und eben von sehr jungen Interpreten gespielte Musik nicht nur das Ohr der Generation 60 plus erfreut, sondern zu einem Erlebnisraum für die Jungen wird.

Denn bei Tonali sind Schüler nicht nur das erste und wichtigste Publikum. Sie sollen auch Kritiker und Partner der jungen Solisten sein. Der jüngste Coup: 2014/15 organisieren die zwölf Patenschulen der diesjährigen Tonali-Wettbewerbsteilnehmer erstmals Konzerte mit ihren Schützlingen außerhalb ihrer Schulen: in zwölf Hamburger Stadtteilkulturzentren.

Tonali 14, Eröffnungskonzert Mo 1.9., 20 Uhr, Kulturkirche Altona (Bus 115), Bei der Johanniskirche22, Eintritt: 12 Euro. Die Vorrunden des Wettbewerbs sind öffentlich, die Teilnahme kostenlos; Termine und Begleitprogramm unter www.tonali.de