Das erschütternde Drama nimmt konsequent die Perspektive der „Wolfskinder“ an

Unschuldige Momente der Kindheit sind flüchtig und kostbar, mühsam dem Existenzdruck in harten Zeiten abgetrotzt: Sanft streichelt der Junge über das Fell des Pferdes, erspürt die Wärme seines Körpers, da zerfetzt ein tödlicher Schuss die friedliche Ruhe. Mit seinem Messer schneidet der kleine Bruder einen Fetzen blutenden Fleisches aus dem Bauch des Tieres heraus. Für die kranke Mutter (Jördis Triebel), die in der Nähe in einem baufälligen Getreidespeicher liegt.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gab es viele Gründe für elternlose Kinder zu fliehen, jüdische Kinder mussten sich vor den Nazis verstecken („Lauf Junge lauf“), nach dem Krieg mussten sich Kinder der Nazis verleugnen („Lore“) und dann gab es auch noch die Wolfskinder, die sich im Sommer 1946 durch Litauen schlagen und auf der Flucht vor sowjetischen Besatzungssoldaten notgedrungen animalische Überlebensinstinkte entwickeln mussten. Von rund 25.000 überlebten damals nur einige Hundert.

So wie Pepe Danquart in „Lauf Junge lauf“, nimmt nun auch Rick Ostermann, der als Assistent von Matthias Glasner und Lars Kraume gelernt hat, in seinem Spielfilmdebüt „Wolfskinder“ konsequent die Perspektive der Kinder ein. Statt durch den Schleier der Geschichte zu blicken, vergegenwärtigt er diese Erfahrungen ganz unmittelbar und direkt, mit einer ergreifenden Authentizität. Zugleich erinnert der Film in seiner verzweifelt hoffnungsvollen Stimmungslage aber auch immer wieder an moderne Weltuntergangsvisionen wie „Hell“ oder „Endzeit“, in denen sich ein paar versprengte Menschen durch unwirtliches Gelände kämpfen. Mit dem Unterschied, dass die Landschaften hier atemberaubend schön wirken, Cinemascope-Panoramen in saftigem Wiesengrün und leuchtendem Himmelblau, und durch das Gitterwerk der hohen Baumstämme im Wald bricht malerisch das Sonnenlicht hindurch, fast so, als würde sich die Natur von dem Grauen distanzieren, das die Menschen darin veranstalten.

„Vergesst nie, wie Ihr heißt“, schärft die Mutter ihren beiden Söhnen auf dem Sterbebett ein, so wie es auch schon der Vater des kleinen Srulik in „Lauf Junge lauf!“ tat. Sie sollen sich auf den Weg machen, über die Memel Richtung Osten zu einem Bauernhof, auf dem sie hoffentlich ein neues Zuhause bekommen. Der ältere Hans soll auf den jüngeren Fritz aufpassen, doch schon bei der Flussüberquerung treibt der Jüngere ab. Die Existenzangst der Kinder widersetzt sich dem gesprochenen Wort, stattdessen sprechen die verdreckten Gesichter und Körper von Levin Liam und Patrick Lorenczat als Hans und Fritzchen Bände, zusammen mit den Darstellern der anderen Kinder, die sich auf der Flucht finden und wieder verlieren.

So unfassbar es ist, wie hier Kinder unerbittlich mit dem Gewehr gehetzt und gejagt werden, wie Freiwild, so klar ist auch, dass bis heute überall auf der Welt die Kinder zu Opfern der Kriege Erwachsener werden.

++++- „Wolfskinder“ D/Litauen 2013, 91 Min., ab 12 J., R: Rick Ostermann, D: Levin Liam, Patrick Lorenczat, täglich im Abaton; www.wolfskinder-derfilm.de