Sommerfestival auf Kampnagel endet erfolgreich. 26.000 Besucher kamen in den vergangenen drei Wochen zu mehr als 200 Vorstellungen

Hamburg. Drei Wochen Internationales Sommerfestival auf Kampnagel bedeutet drei Wochen geballte Kunst-Energie. Utopie auf Zeit. Eintauchen in fremde Welten. Auch mal befreiend in Algenwasser eingeweicht werden, wie in der aktuellen Performance von Miss Revolutionary Idol Berserker, „Noise and Darkness“, mit der die japanische Truppe gegen Normen aufbegehrt. Häufig begegnet man ziemlich idealen Welten, in denen zum Beispiel die besetzte Flora, auf Kampnagel als Kanalspielhaus nachgebaut von der Künstlergruppe Baltic Raw, der Untergrundkultur einen geschützten Ort bietet. Mit verschwitzten Konzerten, auch mal albernem Puppenwerfen und Schnapsrad-Drehen zu vorgerückter Stunde, angestiftet von der Hamburger Cover-Band und Spaßguerilla Boy Division.

Die Hamburger schätzen das: 26.000 fanden den Weg aufs Kampnagelgelände zur zweiten Festivalausgabe unter der Leitung von András Siebold. Rechnet man weitere 20.000 Besucher hinzu, die in der Spitalerstraße vor der Installation des niederländischen Künstlers Dries Verhoeven „Ceci n’est pas ... 10 Ausnahmen von der Regel“ verweilten, übertrifft Siebold damit noch einmal den Rekord vom vergangenen Jahr. Zwei Drittel der mehr als 200 Vorstellungen waren ausverkauft.

Nach Anlaufschwierigkeiten ging Siebolds Konzept, Avantgarde und Pop-Kulturelles zu verbinden, erneut glanzvoll auf. Zum Auftakt mündete die gestiftete Komplizenschaft mit Chilly Gonzales’ und Adam Traynors naiv-belanglosem Schattenspielmusical „The Shadow“ erst einmal in einen ernüchternden Flop. Manchmal gelingt die Künstler-Vernetzung aber auch aufs Schönste, etwa wenn sich der Musiker und DJ Kid Koala mit dem Set-Designer K.K. Barrett und dem Afiara Quartett aus Toronto verbindet.

Kid Koala hat in Barrett den idealen Partner für eine Bühnen-Stummfilmversion seiner Graphic Novel „Nufonia Must Fall“ gefunden. Die Geschichte mag etwas schlicht gehalten sein – langsamer Roboter verliebt sich in eine Bürofleißbiene, wird ausgemustert und kann sein Elend und die schnöde neoliberale Arbeitswelt bei Schlittschuhrunden mit der Liebsten vergessen. Das Bezaubernde an „Nufonia Must Fall“ sind aber nicht nur die belebten Puppenfiguren, sondern das Ballett der Techniker, die zwischen den Miniaturbühnenaufbauten hin- und herspringen, Taschenlampen bedienen und Panoramen drehen.

Verspielt war diese Festivalausgabe wie selten. Doch hinter dem Kindlichen stand häufig ein ernsthaftes gesellschaftskritisches Anliegen. Wenn in Socalleds Puppenmusical „The Season“ Waldwesen trotz babylonischer Sprachverwirrung ihr Herz öffnen für die liebenswerte, fremde, rotfusselige Außerirdische „Tina“. Oder in Amir Reza Koohestanis minimalistischer Theaterinstallation „Timeloss“ die ganz private Unfreiheit in einem Land wie dem Iran beklemmend spürbar wird. Die komplett ausverkauften „Situation Rooms“ von Rimini Protokoll fanden angesichts weltweiter Krisenszenarien zu erschreckender Aktualität. Auch die Tanzinitiative Hamburg trug dazu bei mit ihrem wundersam beglückenden „The Bee Treasure“. Acht Kinder laden in eine von der Berliner Künstlerin Isa Melsheimer geschaffene postapokalyptische Welt direkt am Kanal, in der sie sich, choreografiert von Frank Willens und Maria F. Scaroni, nach und nach in Raubtiere verwandeln. Der Besucher erlebt, mit Insektenmaske versehen, eine blinde Selbsterfahrung, in der Blumen und Tierfelle auf seinem Schoß landen, er scharfes Currypulver riecht und ihm fremdartige Dinge ins Ohr geflüstert werden. Eine geheimnisvolle Rückzugswelt, die die Wahrnehmung nachhaltig irritiert.

Auch der Tanz war hochpolitisch. In Eszter Salamons nicht eben leicht verständlichem, aber überaus virtuosem Kriegsszenentableau „Monument O: Haunted By Wars (1913–2013)“. In Emanuel Gats subtil zerlegter, mit Chanson-Bruchstücken gespickter Ferienstimmung „Plage Romantique“. Einzig der Post-Punk-Choreograf Michael Clark feierte mit „Animal/Vegetable/Mineral“ in seinem durchdesignten Tanztheater die Segnungen des Pop und der Mode, aber eben auch der Rebellion.

Das Musikprogramm überzeugte mit internationaler Vielfalt und einigen lokalen Heroen. Am vorletzten Abend gestalteten Die Sterne eine musikalische Revue mit vielen befreundeten Musikern wie Schnipo Schranke, Zucker und Der Bürgermeister der Nacht. Exklusiv stellte die Hamburger Band die Songs ihres neuen Albums „Flucht in die Flucht“ vor. Sänger und Gitarrist Frank Spilker zeigte zu Beginn erstaunliche Nervosität angesichts des Debüts, das die Band jedoch souverän über die Bühne brachte. Die gewohnten Grooves fehlen auf dem neuen Album. Doch spätestens bei den Zugaben mit „Was hat dich bloß so ruiniert?“ verwandelte sich der Kampnagel-Club in einen Tanzsaal.

Am Abend vor der Abschlussfeier ist der unermüdlich präsente András Siebold schon ziemlich geschafft, doch so ein Festival gibt zugleich hoch dosierte Energie. Nun schiebt er ein paar Eisenstangen vom Durchgang zum Festival Avant-Garten. Eine Stolperfalle. „Wieder ein Problem weniger“, sagt er. Nein, Probleme gab es kaum in dieser Festivalausgabe, die Identitäten und Welten vielfältig schillern ließ.