Hamburg. Theater kann seine reinigende Funktion auch mal auf körperliche Art erfüllen. Die japanische Gruppe Miss Revolutionary Idol Berserker etwa steigert ihre dramaturgischen Möglichkeiten bis ins Extrem. Ihre Abende sind Überfallkommandos auf alle Sinne. Ebenso diffuse wie großartige Zeichenstürme aus Musik, Film, Aktion, auf hohem Dezibelniveau, Farbenmeer, Konfetti, zig Dosen Haarspray – und etlichen Eimern Algenwasser, die auf die sich unter Regencapes duckenden Zuschauer niedergehen.

Das Konzept hat die Gruppe weiter variiert und perfektioniert. In der Europapremiere von „Noise And Darkness“ beim Internationalen Sommerfestival fährt Choreografin Toco Nikaido mit 24 Performer/-Innen die große Materialschlacht diesmal als Reise in die Finsternis auf. Arbeiter gruppieren sich zu Massenchoreografien. Angehende Nachwuchsstars brüllen sich durch Talentshows. Für dunkle Momente des Innehaltens sorgt ein Lichtergang zu Ryuichi Sakamotos „Forbidden Colours“. Schön.

Versponnen und sanft mutet dagegen an, was der in Südfrankreich beheimatete israelische Choreograf Emanuel Gat in „Plage Romantique“ auf die Bühne zaubert. Gleich einem organischen, sich vortastenden Gebilde, wabert die akkurat jede Bewegung setzende Kompanie in blumiger Sommerkleidung über die leere Bühne. Allein die Klänge, die einer der Tänzer seiner E-Gitarre entlockt, und teils heftiges Stimmengewirr vermitteln ein anderes Bild als jenes fedriger Ferienleichtigkeit.Assoziationen mischen sich hinein von strandenden Flüchtlingen. Sie bleiben diffus, wie der sich ständig verschiebende imaginäre Horizont.

Sehr konkrete Bilder findet dagegen der Argentinier Mariano Pensotti in seinem die Möglichkeiten des Filmmediums auslotenden Werk „Cineastas“. Auf einer zweigeteilten Bühne mischt er aufs erfrischendste und spielfreudigste Biografisches und Erdachtes. Und später zeigt sich, dass auch ein Konzert des Berliners Hans Unsterns sehr theatrale Züge annehmen kann. Klangexperiment trifft Beat-Poesie. So schön kann Festival sein.

Internationales Sommerfestival Bis 24.8., Kampnagel, Jarrestr. 20-24, T. 27 09 49 49