Volker Albers schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Kriminalromane

Der italienische Autor, Moderator und Journalist Carlo Lucarelli wurde dem deutschen Publikum erstmals im November 1999 bekannt, als sein Kriminalroman „Freie Hand für De Luca“ erschien. Es war der Auftakt einer faszinierenden Reihe um den Commissario De Luca, der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges im Norden Italiens ermittelt. Schmale Bücher, aber große Kriminalliteratur, spröde erzählt, punktgenau in den Charakteren, nur wenige Details, dann aber bedeutende, exakt beobachtend, manchmal an Simenon erinnernd.

Jetzt ist unter dem Titel „Bestie“ seit längerer Zeit wieder ein neuer Kriminalroman Lucarellis erschienen (im italienischen Original heißt er, eher ins Poetische gewendet, „Il sogno di volare“, zu Deutsch „Der Traum vom Fliegen“ …). Die Geschichte spielt in der Gegenwart der Stadt Bologna und erzählt von einer Reihe wahrhaft bestialischer Morde (was den reißerischen deutschen Titel zumindest in Maßen rechtfertigt). Hinter dem Täter scheint sich eine psychopathologische Figur zu verbergen, die erfüllt ist von der ganzen großen Wut auf die sie umgebende Welt. Eine bedrängte Figur, die gleichsam um Hilfe schreit und ihre Not in einem anonymen Blog im Internet zu artikulieren versucht.

Die Ermordeten sind unbedeutende, unauffällige Personen, irgendwie aber haben sie alle mit Verbrechen zu tun, wenngleich mit eher wenig spektakulären. Dennoch gibt es immer wieder Hinweise auf die Mafia. Für Kommissarin Grazia Negro, die mit ihrem blinden Freund Simone ein Kind haben möchte, sich dafür aber einer medizinischen Therapie unterziehen muss, ist der Fall weit mehr als eine ermittlungstechnische Herausforderung: Einen psychisch ähnlich strukturierten Täter hat sie vor Jahren schon einmal gejagt – zudem verliebt sie sich in einen Carabiniere mit Folgen, die die kühnste Fantasie sich nicht hätte erdenken können. Was die Geschichte zu einem fulminanten Finale führt.

Carlo Lucarelli erzählt in „Bestie“ von menschlichen und sozialen Abgründen, vom Schmutz der Städte und der Verlorenheit der Seelen. Ihm ist ein herausragendes Stück Kriminalliteratur gelungen.

Carlo Lucarelli: „Bestie“ Dt. v. Karin Fleischanderl. Folio Verlag, 271 S., 19,90 €

Volker Albers schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Kriminalromane