Amazon setzt vor allem in Amerika große Verlage unter Druck. In Deutschland ist die Macht des Onlinehändlers noch nicht so groß

Hamburg. Am deutlichsten äußerte sich die um deutliche Worte nie verlegene Sibylle Lewitscharoff. Sie nannte in der „Zeit“ das Internet-Kaufhaus Amazon „ein widerliches, erpresserisches Unternehmen“. In ihrem Gefühlshaushalt herrscht Ordnung, sie sagt unmissverständlich: „Ich wünsche diesem entsetzlichen Monopolisten den Untergang.“

Was ist da denn los? Werden die Romane der Büchner-Preisträgerin Lewitscharoff nicht im Onlineladen des in Amerika beheimateten Megakonzerns (Umsatz im Jahr 2013: 75 Milliarden Dollar) verkauft? Doch, werden sie – das gilt für sie wie für eigentlich alle namhaften Autoren, ob diese bei kleinen oder großen Verlagen sind. Vielleicht haben diese Autoren immer schon eine skeptische Grundhaltung gegenüber dem Versandhandel gepflegt; weil sie die Buchhandlungen, in denen sie aus ihren Büchern lesen, genauso lieben wie immer noch ein großer Teil der Leser. Ist die sinnliche Erfahrungen eines Ganges durch Buchreihen, ist das Blättern in großen Folianten oder das gute Gespräch mit dem Buchhändler nicht ein unvergleichliches Erlebnis?

Nun, das finden längst nicht mehr alle, weil man in der schönen Internetwelt eben auch anders shoppen kann. Man frage auch mal jemanden, der auf dem Land lebt und nicht mal in der Nähe eines Buchladens – da können Onlineangebote mehr als nur bequem sein. Die Frage ist, ob es für die Autoren selbst bequem bleibt, denn Amazon schickt sich gerade an, die Bedingungen im Literaturgeschäft zu seinen Vorteilen zu verändern. Weshalb Leute wie die Berlin-Schwäbin Lewitscharoff nun alarmiert sind.

Mangelnde Beweglichkeit konnte man Amazon übrigens noch nie vorwerfen, wie überhaupt Innovationen vor allem digital stattfinden. Auf dem Buchmarkt versucht Amazon seit einiger Zeit, seine Marktstellung durch ganz neue Wege weiter zu verbessern – mittlerweile fungiert das Unternehmen auch als Verlag und Plattform für Self-Publishing.

Wer als Verlag gleichzeitig über eine riesige eigene Verkaufsfläche verfügt, der kann irgendwann auf die Konkurrenten Druck ausüben. Und als ob das noch nicht reicht, lässt Amazon auch in anderer Hinsicht die Muskeln spielen. Auf dem Feld des E-Book-Markts wird in Amerika derzeit eine Schlacht geschlagen, die weitreichende Auswirkungen haben könnte.

Es geht um die Preisgestaltung für E-Books, die Amazon zu deutlich billigeren Konditionen anbieten will als die Verlage. Die Parteien stehen sich unversöhnlich gegenüber, in den USA spricht manch einer schon von einem „Wirtschaftskrieg“, weil in der Tat mit harten Bandagen gekämpft wird. Titel der Big Player Hachette, wo unter anderem die Bücher von David Foster Wallace, J.K. Rowling und Stephenie Meyer verlegt werden, und Bonnier werden mit Verzögerung ausgeliefert oder können nicht mehr vorbestellt werden – für Verlag und Autoren ein unhaltbarer Zustand.

In Amerika beherrscht Amazon Schätzungen zufolge längst die Hälfte des Buchmarkts. Wegen der Buchpreisbindung und der schnellen Lieferzeiten im stationären Buchhandel ist Amazon in Deutschland dagegen noch längst nicht so erfolgreich. Allerdings wächst auch hier der Marktanteil des Online-Buchhandels, und E-Books werden immer beliebter. Zuletzt wurden 2,5 Prozent aller Titel in elektronischer Form verkauft. Experten sagen eine hohe Steigerungsrate voraus.

Der Streit in Übersee wird in der Branche als Menetekel wahrgenommen – und könnte zu einer transatlantischen Front gegen Amazon führen. Denn es sind namhafte US-Autoren wie Donna Tartt („Der Distelfink“), Stephen King und Paul Auster, die von den Entwicklungen betroffen sind und sich zuletzt unter anderem mit einem Brief an Amazon-Boss Jeff Bezos zur Wehr setzten. Öffentlich ging der TV-Komiker Stephen Colbert das Unternehmen an: In seiner Sendung kritisierte er Amazon unverhohlen. Colberts Buch „America again“ ist ebenfalls von den Verzögerungen betroffen.

Dass sich der Wert der kreativen, künstlerischen und publizistischen Arbeit mit der digitalen Wende verändert hat, musste die Musikindustrie in den vergangenen Jahren schmerzlich erfahren. Unlängst wurde bekannt, dass Amazon eine Flatrate für Bücher einführt: Für knapp 10 Dollar pro Monat können sich die Kunden künftig in einem Bestand aus 600.000 Titeln bedienen. Die großen Verlage schließen sich dem Geschäftsmodell allerdings nicht an – und sehen den Börsenverein des Deutschen Buchhandels an ihrer Seite. Der legte Ende Juni beim Kartellamt Beschwerde ein, weil Amazon auch die Geschäfte der deutschen Verlage Piper, Carlsen und Ullstein, die zu Bonnier gehören, behindert.

Die Gefahren sind klar ersichtlich. Je größer die Marktmacht eines einzelnen Unternehmens wird, desto mehr ist es in der Lage, nicht nur Verlagen die Preise zu diktieren, sondern den Autoren gleich mit. Die Abneigung, mit der Autoren Amazon entgegentreten, lässt einen oft an den viel beschworenen Untergang des Abendlands denken; dabei ist die Dämonisierung des Internetriesen nur die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen stehen die Hoffnungen der Verlage, mit ihren Unique Selling Points – Lektorat, Werbung, auch Vertrieb – für die literarische und handwerkliche Qualität der Produkte zu sorgen, die schrankenlose Plattformen wie etwa Amazon nicht gewährleisten. Buchhandlungen sind wegen der veränderten Einkaufsgewohnheiten schon länger unter Druck. Sie haben ihre Konzepte deshalb geändert und setzen in ihren stationären Geschäftsflächen auf Aufenthaltsqualität – einen eigenen Onlineshop haben sie gleichwohl auch. In Hamburg wurde von Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) jetzt ein Buchhandlungspreis für besonders engagierte und zukunftsfähige Buchhandlungen ins Leben gerufen, im Bund plant Kulturstaatssekretärin Monika Grütters (CDU) ebenfalls einen Preis für kulturell herausragende Buchhandlungsprogramme.

Es wird jedenfalls nicht so sein, dass Amazon seinen Kurs problemlos durchziehen kann. Im letzten Quartal schrieb das Unternehmen Verluste in Höhe von 126 Millionen Euro: Der Expansionskurs ist nicht billig.