Heute eröffnet die Ausstellung Visual Leader in den Deichtorhallen. Zu sehen sind auch zwei große Abendblatt-Projekte

Hamburg. Krise? Welche Krise? „So kreativ wie in diesem Jahr waren die Zeitungen in Deutschland lange nicht mehr.“ Zu diesem Schluss kommt Markus Peichl, legendärer Zeitschriftenmacher („Tempo“) und Vorsitzender der Lead Academy für Medien e.V., wenn er die Auswahl an Arbeiten betrachtet, die um die von seinem Verein vergebene Auszeichnung „Lead Award“ konkurrieren. Alle hierfür Nominierten nennt der Verein „Visual Leader“.

Wie diese Leitfiguren zeitgenössischen Sehens und Betrachtens das Optische im Gesicht der Zeit prägen, ist den Zeitungen und Zeitschriften zu entnehmen, die sie gestalten, den Fotografien, die darin abgedruckt werden, ihren Internet-Auftritten, auch der Werbung, die sie sich ausdenken und umsetzen. Das Haus der Photographie/Deichtorhallen präsentiert ab heute auf 1200 Quadratmetern Ausstellungsfläche das nach Auffassung einer Fachjury Beste, was es innerhalb der vergangenen zwölf Monate in deutschen Printmedien, von Werbern und im Netz zu sehen gab. Mit dabei sind auch insgesamt 44 Seiten aus dem Hamburger Abendblatt. Das Dossier zur Elbphilharmonie („Wunschkonzert“), das gerade erst den mit 10.000 Euro dotierten Journalistenpreis der Immobilienwirtschaft erhielt, und die von Werbern gestaltete Abendblatt-Ausgabe vom 14. Mai 2013 gehören zu den von der Jury nominierten Beiträgen.

Die entsprechenden Zeitungsseiten sind deshalb nun in den Deichtorhallen zu sehen, die sich bereits zum elften Mal in Folge für die Ausstellung öffnen. Ingo Taubhorn, Kurator des Hauses, sieht hier exemplarisch den „Bildungsauftrag einer Sehschule“ erfüllt. Auch wem das eine Spur zu pathetisch klingen mag: Beim Rundgang durch die Halle wird deutlich, dass sich am Grad des kreativen Umgangs mit Themen und Bildern durchaus die geistige und ästhetische Temperatur des Landes nehmen lässt.

Wie beinahe frisch vom Kiosk hier manches den Weg an die Wände gefunden hat, zeigen etwa die Seiten aus der „Bild“-Zeitung nach dem 7:1-Erfolg der deutschen Nationalmannschaft über Brasilien bei der Fußballweltmeisterschaft. Peichl lobte den publizistischen Mut und die Kreativität, mit denen das Blatt, das den Sieg verbal auf der Titelseite nur mit der Schlagzeile „Ohne Worte“ feierte, der unbegreiflichen Torfülle Rechnung trug. Auf den Seiten zwei bis fünf zeigte die „Bild“ einfach nur alle Treffer in Großaufnahme und dazu die Namen der jeweiligen Torschützen. Ein derartiger Umgang mit dem Thema sei vor 15 Jahren noch unvorstellbar gewesen, sagte Markus Peichl. Zeitungen und Zeitschriften könnten heute ihre Relevanz nicht mehr per se behaupten, sondern müssten sie sich durch Kreativität und Originalität stets neu erwerben. „Auf diese Weise setzen sie sich immer wieder von dem großen Themen- und Debattensharing im Netz ab und schaffen regelrechte Printevents.“

Die Jury erwählte auch einige Seiten aus der „Frankfurter Rundschau“. Sie zeigte sich „von der enormen Kraftanstrengung beeindruckt, mit der sich die Redaktion nach der bereits besiegelten Insolvenz neu motivierte und nun mit unglaublichem Elan wieder ein frisches, debattenstarkes Blatt macht“. Das Regelwerk der Lead Awards schließt die Bewerbung von Kandidatenseite aus. Wer in die engere Auswahl kommt, entscheidet eine aus Studenten aller relevanten Bereiche bestehende Vorjury, die übers Jahr kontinuierlich Printmedien nach Preiswürdigem durchforstet, Werbung schaut und sich die Augen nach dem Besten im Internet ausguckt.

Aus deren Auslese siebt dann eine je nach Kategorie wechselnde Fachjury, zu der insgesamt rund 125 Leute gehören. Ihre Gold-, Silber- und Bronzepreise samt Spezialnennungen haben die Juroren längst vergeben. Um das Votum des Publikums nicht zu beeinflussen, werden die prämierten Arbeiten aber erst nach der Preisverleihung am 12. September auch in der Ausstellung gekennzeichnet.

Das Plakatmotiv zur Schau verdankt sich übrigens einem Fotoautomaten im Horrorkabinett eines kanadischen Vergnügungsparks. Es zeigt fünf Menschen mit weit aufgerissenen Augen und Mündern. Der Art Director des Magazins „Dummy“ gestaltete mit solchen automatisch generierten Fotos die Optik zum Themenheft Angst. Und wo fand er die Bilder? Im Netz, gepostet von den froh Verängstigten.