Zwei Ausstellungen im Kunstverein setzen sich mit eigenen Sehnsüchten und unabhängigem Kino auseinander

Hamburg. In Hamburg ist Sommer, im Kunstverein jedoch herrscht noch ein wenig Frühlingsstimmung. Ein Hauch von Sehnsucht, eine Freude am Werden, aber auch eine jetzt schon sich ankündigende Trauer über das Vergehen. Es schaut einen ziemlich deprimierend aus den höhlenartigen Fenstern von Hochhäusern der heruntergerockten US-Stadt Detroit an. Fotos davon hat die Künstlerin Cordula Ditz in ihrer Videoinstallation „A Bankrupt Heart“ denen leer stehender Hütten aus einer vergessenen Goldgräberkolonie im Death Valley gegenübergestellt. Verfall und Verlassenheit der Geisterstadt faszinieren. Ditz fand darin ihr Sehnsuchtsmotiv.

Die Gruppenausstellung „Im Frühling, Darling“ im Erdgeschoss des Kunstvereins vereint 23 Arbeiten vornehmlich junger Künstler, viele von ihnen Absolventen der Hochschule für bildende Künste Hamburg, ergänzt um einige aus Frankfurt.

Die Zugänge der Künstler dieser inspirierenden Schau öffnen Räume in den Köpfen der Zuschauer, erzählen von persönlichen Träumen, die durch die künstlerische Zusammenschau etwas Allgemeingültiges erhalten. Inge Krause unternimmt den Versuch, anhand des Himmels das Moment der Tiefe abzubilden. In ihren Farbverlaufmalereien stapelt sie Schicht auf Schicht zu einer glänzenden Oberfläche.

Das Begehren eines abwesenden Körpers ist Thema der Arbeiten von Ida Lennartsson. in der Serie „Ruins“ hat sie Seile und Knotenformationen in Ton gegossen, die an tabuisierte Erotik erinnern, vom Festhalten erzählen, nur dass der Körper nicht mehr vorhanden ist. Eine buchstäblich (laut)starke Position stammt von Annika Kahrs, die in ihrer Videoinstallation einen Pianisten im altehrwürdigen Jenisch Haus Franz Liszts „Die Vogelpredigt des Heiligen Franz von Assisi“ vor einer Kulisse aus quietschenden, in Käfigen domestizierten Vögeln spielen lässt. Sprache wird in Musik übersetzt, dann zurück in den visuellen Raum geworfen, der den Betrachter zum Teilnehmer eines eigenwilligen Konzerts macht.

Eine der vielleicht charmantesten Arbeiten der Schau entsteht gerade erst. Künstler wurden aufgerufen, von ihren sommerlichen Urlaubsorten Postkarten zu senden. Zwei sind schon angekommen. In „Dear Darling“ produziert das Leben selbst mit seinen universellen Sehnsuchtsmomenten die schönsten Werke.

Wirklichkeit und Kunst überlagern sich in der sehenswerten Parallelausstellung „A Paradise Built In Hell“ im oberen Stockwerk, die sich mit dem Standort Hamburg als Hort des Experimentalfilms befasst. Die Schau beleuchtet die Renaissance, die das 16-Millimeter-Filmformat aktuell ausgerechnet in Zeiten der Digitalisierung erfährt.

Ausgehend von der Historie, in der junge Filmemacher Ende der 50er-Jahre mithilfe der damals neuen Technik auch jenseits der etablierten Filmindustrie unabhängig arbeiten konnten, eröffneten sich neue Möglichkeiten für künstlerische Experimente aber auch für Ausdrucksformen neuer gesellschaftlicher Denkweisen und Utopien des Lebens und Arbeitens.

Herzstück der Schau ist eine erlesene täglich wechselnde Filmreihe mit Werken von Klaus Wildenhahn bis Tacita Dean in einem eigens eingerichteten kleinen Kinosaal. Das Metropolis-Kino stemmte seinen 16-Millimeter-Filmprojektor aus dem Keller, der hier nun fröhlich vor sich hin surrt. Zwischen drei und 286 Minuten dauern die Filme. Sie finden ein aufmerksames Publikum. Da kann es passieren, dass sich etwa in „URF 16“ des US-Filmemachers Luther Price aus dem Jahre 2006 ein paar grobe Ansichten aus New York, Menschen, fahrende Autos, wie ein Materialfehler aneinanderreihen. Price, der stets in Handarbeit seine Filme aus Resten anderer Filme zusammenbaut, erläutert selbst, er habe sich in diesen „Nichtfilm“ verliebt. In ihrem Minimalismus reflektieren die Bilder in eigenwilliger Schönheit das nicht Reproduzierbare des industriellen Zeitalters.

Begleitend ist sowohl dokumentarisches Material von Pionieren des unabhängigen Kinos wie Jack Smith bis zu der sich 1968 in der Brüderstraße formierten Hamburger Filmemacherszene von Werner Grassmann über Klaus Wyborny bis Hark Bohm zu sehen. Eine Chance, die Hamburger Filmszene ganz neu zu entdecken.

„Im Frühling, Darling“ und „A Paradise Built In Hell“ bis 14.9., Di–So 12.00–18.00, Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23, www.kunstverein.de