Die Finnin Tove Jansson, die am 9. August 100 Jahre alt geworden wäre, erfand die Mumins. Die seltsamen Trolle erleben derzeit ein Comeback

Der Weihnachtsmann ist natürlich ein noch bekannterer Finne, er wohnt ja angeblich in Rovaniemi. Rennfahrer Mika Häkkinen, Regisseur Aki Kaurismäki, Ex-Staatsoberhaupt Tarja Halonen und den Komponisten Jean Sibelius könnte man noch nennen. Aber dann kommen auch schon bald sie: die Mumins. Bei Umfragen des finnischen Außenministeriums über die bekanntesten ihrer Landsleute landen die Trolle regelmäßig in den Top Ten. 2014 könnte auch bei uns wieder ein interessantes Jahr für sie werden, denn ihre Schöpferin Tove Jansson wäre am 9. August 100 Jahre alt geworden. Das zieht im In- und Ausland zahlreiche Veranstaltungen und Veröffentlichungen nach sich. Etwa im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, bei der Finnland in diesem Jahr das Gastland ist und man der Finnlandschwedin Tove Jansson einen Schwerpunkt widmet.

Der Mumin ist ein kleiner Troll, der mit seinen Eltern in einem baufälligen Haus lebt. Mumins haben eine ziemlich dicke Nase und sehen aus wie Nilpferde, dabei sollen sie Trolle sein. Keins dieser garstigen, unheimlichen Wesen aus der Mythologie, sondern ein freundliches, neugieriges, naturverbundenes. Ständig kommen bei ihnen gefräßige Gäste zu Besuch. Mit seinem besten Freund Schnüferl erlebt der neugierige Mumin Abenteuer, bei denen den beiden viele seltsame Charaktere begegnen, geheimnisvolle, schrullige und gefährliche. Am Ende sitzen sie alle meist zusammen am Feuer und stoßen an.

Die Liebe zur Natur, Toleranz gegenüber anderen Weltanschauungen und ein in Finnland immer wieder zu beobachtender skurriler Humor durchziehen die Abenteuer, die Tove Jansson viele Preise einbrachten. Autobiografisch und manchmal auch selbstironisch geht es da zu, wenn die aus einer Künstlerfamilie stammende Autorin ihren kleinen Helden durch seinen Freund Schnüferl auffordert, er solle zwar Kunst schaffen, die solle aber „verstörend“ und „verblüffend“ sein. Der bodenständige Mumin antwortet, er wolle doch „einfach nur in Frieden leben, Kartoffeln pflanzen und träumen“.

Die Mumins waren und sind für Finnland ein Exportschlager. Die Bücher und Comics wurden in 34 Sprachen übersetzt. Dazu kommen noch TV-Serien, zahlreiche Merchandising-Artikel, ein Themenpark lockt in Finnland jährlich 200.000 Besucher an. In Deutschland ist es in letzter Zeit etwas ruhiger um sie geworden, aber rechtzeitig zum 100. Geburtstag ihrer Schöpferin Tove Jansson erscheinen jetzt wieder mehrere Bücher von ihr und über sie. Dabei wird deutlich: Die 2001 gestorbene Jansson war weit mehr als „nur“ eine Kinderbuchautorin. Sie schrieb Bücher für Erwachsene, malte und hatte eine interessante Biografie.

Zuerst war ein kleiner Mumin das Markenzeichen von Tove Jansson, als sie in den 30er-Jahren noch als Karikaturistin für ein Satiremagazin arbeitete und gern Hitler und Stalin mit spitzer Feder auf die Schippe nahm. Erst später wurden daraus Geschichten für Kinder. 1945 erschien das erste Buch „Die kleinen Trolle und die große Flut“. Bis 1949 hatte Jansson ein ganzes fantasievolles Bestiarium um die Kernfamilie herum entwickelt. Dazu gehören zum Beispiel die egoistisch-anarchische Kleine My und das Snorkfräulein.

Die Nachkriegszeit und der Kalte Krieg waren ein guter Nährboden für die eskapistischen, märchenhaften Geschichten. Ab 1952 druckten die „London Evening News“, damals eine Tageszeitung mit einer Auflage von zwölf Millionen Exemplaren, die von Jansson gezeichneten Comics. Sie wurden ein großer Erfolg. Bald folgten 120 Blätter in 40 Ländern.

Die ersten deutschen Zeitungen, die die Mumins druckten, waren ab Ende der 50er-Jahre das Hamburger Abendblatt und der „Weser-Kurier“. Die „Muminfamilie“ war der erste Mehrteiler, den die Augsburger Puppenkiste für das Fernsehen produzierte. Das ZDF strahlte ab 1992 Folgen einer internationalen Trickfilm-Koproduktion aus.

Tove Jansson, die Erfinderin dieser Geschöpfe, ist hier weit weniger bekannt als ihre große schwedische Kollegin Astrid Lindgren. Aber für die Finnin waren die Geschichten für Kinder auch nur eine Facette ihrer künstlerischen Tätigkeit. Ihr Vater war ein bekannter Bildhauer, dem sie schon als Kind Modell saß. Ihre Mutter, die vor ihrer Heirat eine Suffragette gewesen war und die schwedischen Pfadfinderinnen mitgründete, entwarf Briefmarken für das Postministerium.

Von der 1914 geborenen Tochter Tove wurde erwartet, dass sie ebenfalls Künstlerin werden würde. Sie studierte in Finnland, Schweden, Frankreich und Italien. Später begann sie eine unglücklich verlaufende Liebesaffäre mit einem Philosophen, die Beziehung galt als Skandal. Dann fand Tove ihre Lebenspartnerin Tuulikki Pietilä, mit der sie vier Jahrzehnte zusammenblieb. Als Charakter Tooticki taucht sie auch in den Cartoons auf. Auch diese Beziehung war riskant, denn Homosexualität war in Finnland bis 1971 illegal und galt bis 1981 als „Krankheit“.

Der frühe Erfolg der Figuren rief einen finanzstarken Interessenten auf den Plan. Walt Disney wollte die Rechte an den Mumins kaufen, aber die Finnin lehnte ab. Als es Tove Jansson mit der Zeichnerei zu viel wurde, übernahm ihr jüngerer Bruder Lars diese Arbeit. Sie schrieb stattdessen Kurzgeschichten und Romane und widmete sich der Malerei. Eine Ausstellung in Helsinki zeigt zurzeit ihr vielfältiges Schaffen.

Heute vertritt eine Gesellschaft die Rechte an den Figuren, sie ist eine der erfolgreichsten finnischen Firmen, verhandelt mit Lizenznehmern und betreibt das Merchandising. Auf der Seite „All Things Moomin“ ist zu sehen, was man alles mit den possierlichen Illustrationen kaufen kann. Kofferanhänger, Stickerei-Sets, Kerzenhalter, Marzipan-Figuren. Nur Mumins auf Klopapier fand Tove Jansson unangemessen. Firmenchefin ist heute Sophia Jansson, die Nichte von Tove und Tochter von Lars. Sie sagt, sie versuche bei den zahlreichen Produkten auch die künstlerische Integrität der Figuren zu wahren. Ein besonderer Renner sind die Mumin-Becher. Die Form stammt vom finnischen Star-Designer Kaj Franck, bedruckt sind sie mit Comic-Motiven. „Wir verkaufen von fast jedem neuen Becher mehr als eine Million Exemplare weltweit“, sagt Jansson, für die die Mumins nicht ihre Lieblingskinderbücher waren. „Ich war zu nah dran. Sie waren für mich Teil unserer Wohnungseinrichtung. So etwas idealisiert man nicht.“

Eine besondere Vorliebe haben die Japaner für die Comic-Figuren entwickelt. Die Fluglinie Finnair hat deshalb einige der Flugzeuge, die direkt dorthin fliegen, mit den Comic-Figuren lackiert. Als die japanische Animationsfilm-Industrie in den späten 60er-Jahren auf ein Hoch zusteuerte, wurden auch zwei Serien verfilmt, die auf europäischen Geschichten basierten. „Heidi“ und die „Mumins“.

„Danach kannte uns dort jeder, denn es gab damals ja erst ein oder zwei TV-Sender“, erklärt Jansson. Jetzt erlebten die Trolle sogar ein Comeback. „Man schätzt dort ohnehin bleibende Werte. Katastrophen wie der Tsunami oder Fukushima haben den Umweltgedanken noch verstärkt. Die Mumins passen dazu.“ Die Folge waren Umsatzsteigerungen in den vergangenen beiden Jahren um jeweils mehr als 70 Prozent.

Noch stärker an den Mumins interessiert als die Japaner ist der Bremer Christian Panse. Der Pädagoge ist im Grunde seines Herzens „Muminologe“. „Schuld“ daran hatte eigentlich seine Oma, die ihm aus dem „Weser-Kurier“ die Mumin-Abenteuer ausschnitt und zusammennähte. Panse las die Comics und war begeistert, auch wenn er den Protagonisten heute kritisch sieht. „Mumin ist einer dieser blassen Helden mit nur wenien Eigenschaften, ähnlich wie Frodo Beutlin aus dem ,Herr der Ringe‘“, findet er. Besser gefallen ihm bis heute andere Charaktere, der freiheitsliebende Schnupferich und die gemütlich-egoistischen Mymlas. „Ich bin wohl so eine Art Hemul“, sagt er. In dem von ihm auf www.zepe.de ins Netz gestellten „Muministischen Lexikon“ hat er Hemule als „versponnene bis verklemmte Ordnungscharaktere“ beschrieben.

Als Erwachsener verstärkte sich Panses Interesse für Jansson und ihre Welt noch. Er lernte sogar Schwedisch, um die Bücher im Original lesen zu können. Für ihn ist die Beschäftigung mit dem Thema längst kein Hobby mehr, sondern „eine Besessenheit“. In seinen Regalen findet sich auch jede Menge Sekundärliteratur. „Jansson hatte ein humanistisches Weltbild. Es ging ihr um die Freiheit und um Formen des Zusammenlebens“, analysiert er. Die Ideen Freuds und der Existenzialismus hätten deutliche Spuren in ihrem Werk hinterlassen. „Man findet bei ihr auch defekte Typen und Menschen, die keine Beziehungen eingehen können.“

Von Janssons Büchern für Erwachsene empfiehlt Panse das „Sommerbuch“, in dem es um eine alte Frau und ein kleines Kind geht. Hinter den wie immer bei der Autorin stark autobiografisch ausgeprägten Charakteren verbergen sich Toves Mutter und ihre Nichte Sophia. „Fair Play“ schildert auf heitere Weise das Zusammenleben zweier alternder Frauen. Und der Titel „Tochter des Bildhauers“ ist ohnehin selbsterklärend. In Janssons Auseinandersetzung mit dem Altern sieht Panse aktuelle Bezüge. „Es geht darum, mit Hilfe von Kreativität den eigenen Lebensweg zu finden und um ewige Wahrheiten. Das wird auch in 500 Jahren noch gültig sein.“

Tove Jansson. „Willkommen im Mumintal“, 256 Seiten, Arena, 10 Euro

Tove Jansson, Lars Jansson. „Mumin und der Komet“, 44 Seiten, Reprodukt, 10 Euro

Tove Jansson. „Das Sommerbuch“, 204 Seiten, Lübbe, 12 Euro

Tuula Karjalainen. „Tove Jansson – die Biografie“, 320 Seiten, Urachhaus, 34 Euro www.tove100.com