„Homo Faber“ aus Melchingen überzeugt bei Privattheatertagen

Hamburg. Es tut mir leid, das zu schreiben, aber bis vorgestern wusste ich nicht, dass es Melchingen gibt. Es ist ein Dorf auf der Schwäbischen Alb mit 970 Einwohnern. Und einem Theater. Das Theater Lindenhof Melchingen gastierte am Dienstagabend mit seiner Inszenierung von Max Frischs Roman „Homo Faber“ bei den Hamburger Privattheatertagen im Ernst Deutsch Theater. Und eines muss man vorweg sagen: Solange es solche Theater gibt, ist Deutschland nicht verloren. Kultur lebt überall. Drei ziemlich tolle Schauspieler zeigen eine ziemlich tolle Inszenierung. Und sie arbeiten in Melchingen! Unglaublich! Sie würden eins zu eins auch ans Ernst Deutsch Theater passen, an die Hamburger Kammerspiele oder an jedes andere Privattheater einer deutschen Großstadt.

„Homo Faber“ ist die Geschichte, die viele als Abi-Lektüre kennen. Darin brechen in das geordnete Leben des rational denkenden Ingenieurs Walter Faber Irrationalität und Gefühl ein. Faber ist dem hilflos ausgeliefert. Er lernt durch Zufall auf einem Schiff eine junge Frau kennen, geht mit ihr eine Liebesbeziehung ein und begreift erst hinterher, dass sie seine Tochter ist. Hanna, die Mutter dieser Tochter, ist seine nie vergessene Jugendliebe.

Wie weit kann man sein Leben selbst bestimmen? Was ist Schicksal, was Natur? Warum läuft so vieles schief zwischen Mann und Frau? Wann ist ein Leben verfehlt? Frischs Text ist deshalb so lebendig geblieben, weil all diese Fragen zeitlos sind. Auch die Inszenierung stellt sie. Unaufdringlich, spielerisch und mit ganz einfachen Mitteln. Die drei Schauspieler spielen miteinander und erzählen uns alles.

Regisseur Christof Küster hat in Oliver Moumouris einen ebenso smarten und kühlen wie für Gefühle eben doch nicht unempfindlichen Faber gefunden. Er reist durch die Welt, sieht und sucht Klarheit, doch was er findet ist Unruhe, Verwirrung, Unerklärliches. Sein Jugendfreund nimmt sich das Leben. Ihn, wie auch den gelegentlichen Erzähler des Fortgangs der Geschichte spielt Reinhard Froboess. Als Faber Sabeth kennenlernt sagt er: „Ich wusste gar nicht mehr, dass ein Mensch so jung sein kann.“ Er ist entflammt. Sabeth hingegen scheint das Gefühl des Verliebtseins zu lieben. Kathrin Kestler spielt sie als unbändiges junges Mädchen mit Interesse für Museen und an allem, was Aufregung verspricht. Zuvor hat sie mit wechselnden Akzenten andere Frauen in Fabers Leben gespielt, glücklicherweise nicht aufgekratzt, sondern offen, innig, leise, aber deutlich. Später wird sie auch Hanna, Fabers Jugendliebe reif und verletzt zeigen.

Die Bühne (Maria Martinez Pena) besticht mit einem multipel einsetzbaren Glasparavent und Großaufnahmen einer Bühnenkamera. Ein einfacher, einfach schöner Abend.