Zwischenbilanz: Das Kaltstart-Festival überzeugt mit qualitativ meist hochwertigen, sehenswerten Produktionen

Hamburg. Als die Macher des Kaltstart-Theaterfestivals vor neun Jahren loslegten, war das Festival, ein Spielfeld für den Nachwuchs, noch überwiegend ein Insider-Branchentreff. Das hat sich längst gewandelt. Heute sind alle Veranstaltungen bislang gut besucht oder sogar ausverkauft. Und es lohnt sich, bei dieser Festival-Ausgabe im Kulturhaus III & 70 vorbeizuschauen. Das Programm hat unter der Leitung von Anne Schneider und Melanie Schwarz sein Profil qualitativ noch weiter geschärft und präsentiert sehenswertes Neues aus der jungen deutschsprachigen Stadttheaterszene.

Die Inszenierung „Die Reise nach Petuschki“ etwa vom Wiener Burgtheater erweist sich als absolutes Kleinod. Zwei talentierte Jungstars glänzen in der Regie von Felicitas Braun, die aus dem gleichnamigen Roman des Außenseiterliteraten Wenedikt Jerofejew eine einfallsreiche, durchaus gewollt improvisiert wirkende Collage gemacht hat.

Daniel Sträßer begibt sich im Fellmantel als Hauptfigur Wenja vom Kursker Bahnhof in Moskau aus auf die Reise, um seine Geliebte zu besuchen. Doch die Zugfahrt entwickelt sich zur hochprozentigen Deliriumstour, bei der Wenja auf skurrile Begleiter trifft, die allesamt von der apart uniformierten, blond perückten Jasna Fritzi Bauer, mal als Wissenschaftler, mal als Engel, mal als Sphinx, verkörpert werden.

Mit viel situativ bedingtem Humor zeichnen beide das sensible Kaleidoskop einer Reise, die sich letztlich als Wahnvorstellung herausstellen wird. Und auch die Zuschauer lassen bei der Aufführung die leuchtende Wodka-Flasche kreisen.

Grabenkriege in einer Zweierbeziehung der ganz anderen Art präsentieren Sona Isemer und Amadeus Köhli in der Regie von Christoph Bornmüller mit der monströsen Liebeskomödie „Kirche des erotischen Elends“.

Das Elend stellt sich ein, weil der Mann gerne eine bequeme offene Beziehung führen würde, einseitig versteht sich. Sie hingegen schluckt Pillen und droht mit suizidalem Fenstersturz. Beide steigern sich über die Besitzgier in immer neue Verhaltensextreme hinein, die mit einer Tortenschlacht enden. Manchmal vielleicht ein bisschen dick aufgetragen, aber das Publikum amüsiert’s.

Das Überangebot an Lebensmöglichkeiten reflektiert der Abend „Innenwelten oder der Pudel in Dir“. Judith Kuhnert schickt drei Frauen aus dem Weltall auf die Erde und lässt sie in riesigen Wühlkisten in Kladden nach möglichen Lebensentwürfen suchen. Frauen im Alter von elf bis 94 Jahren äußern sich darin über Männer und Beziehungen. Vieles ist allzu bekannt, manches ganz amüsant. Ein wenig mehr Radikalität in Inhalt und bei der Wahl der Mittel hätte hier nicht geschadet. Dennoch: Lohnend ist der „Kaltstart“-Besuch allemal.

Kaltstart-Theaterfestival bis 7.6., Kulturhaus III & 70, Schulterblatt 73, www.kaltstart-hamburg.de