„Leute über 40 schlagen sich auf die Schenkel, Leute unter 40 fassen sich an den Kopf“: Die Geschwister Pfister eröffnen am Freitag das 27. Hamburger Kabarettfestival. Bis 1.6. folgen vier weitere Premieren.

Hamburg. Man sieht sich immer zweimal im Leben, heißt es. Manche Satiriker sind in der Hansestadt noch öfter zu sehen. Aber würden sie ihrem Publikum immer wieder das Gleiche vorspielen, dann hätten sie ihren Beruf, besser noch ihre Berufung verfehlt. Das weiß auch Ulrich Waller, seit er 1987 in der Kampnagelfabrik das Hamburger Kabarettfestival ins Leben gerufen hat. Auch als künstlerischer Leiter des St. Pauli Theaters hat er das bei der 27. Auflage des von ihm kuratierten spöttischen Gipfeltreffens versucht zu berücksichtigen.

Gleich fünf Hamburg-Premieren stehen in seinem Haus auf dem dreiwöchigen Programm. Und den Auftakt machen an diesem Freitag gute alte Bekannte, die Hamburger Zuschauer womöglich noch aus dem demnächst schließenden Zelttheater Fliegende Bauten kennen. Die Geschwister Pfister haben dort lange gastiert, werden sich aber bis Dienstag garantiert mit dem nostalgischen Charme des St. Pauli Theaters anfreunden. Schließlich starten die Pfisters in ihrer neuen Show „Wie wär’s, wie wär’s?“ zu einer (Zeit-)Reise nach Italien, das Ganze verpackt in Schlager der 50er- bis 70er-Jahre. Mit ihrer heiteren, immer leicht spöttischen Nostalgie und Parodie ist das Trio, das sich einst eine fiktive Biografie von Waisenkindern aus dem Schweizer Zermatt gab, in der Vergangenheit gut gefahren. So hat es sich auch in Hamburg sein Publikum ersungen und erspielt. „Wir haben eine Fangemeinde, die mit uns gealtert ist“, sagt Tobias Bonn, 50, alias Toni Pfister. „Leute über 40 schlagen sich bei unseren Programmen auf die Schenkel, Leute unter 40 fassen sich an den Kopf“, erzählt er.

Der Schauspieler und Sänger bildet in der Show mit Fräulein Schneider (Andreja Schneider) ein Ehepaar, ist privat aber mit Christoph Marti alias Ursli Pfister verpartnert, wie es im Amtsdeutsch so unschön heißt. Umso schöner, dass dem seit 1991 in Berlin ansässigen Dreigestirn aus einem Schweizer (Marti), einem Deutsch-Schweizer (Bonn) und einer gebürtigen Kroatin (Andreja Schneider) der Stoff nicht ausgeht. Die Herren der Schöpfung hatten sich schon während der Schauspielausbildung in Bern kennengelernt, die Sängerin stieß später dazu. „Fräulein Schneider ist Autodidaktin“, sagt Bonn.

2011 leisteten sich Bonn und Marti in Hamburg zuletzt einen spöttischen Abgesang auf (wein-)seliges Spießertum. Als Toni und Ursli Pfister empfingen sie Peter Alexander und Mireille Mathieu bei „Servus Peter – Oh là là Mireille“ zu einem schnulzigen Rendezvous. Diesmal treffen die beiden mit Fräulein Schneider auf ihrem Trip gen Rom in einer Trattoria weitere Show- und Schlagerstars von einst bis hin zu Cindy & Bert. Wie immer live begleitet vom Jo Roloff Trio. Als sie sogar in der Villa von Schlagerguru Ralph Siegel Station machen, herrscht indes kein bisschen Frieden, es könnte sogar mal böse werden. Ist das Kabarett-Theater? „Wir sind im Grunde genommen unser eigenes Genre, bleiben aber auf dem Teppich“, sagt Bonn, der neben Marti und Schneider in Berlin auch in der Operette „Clivia“ in einer Hauptrolle zu erleben ist.

Nicht unbedingt für den Massengeschmack, aber sehenswert ist der ebenfalls aus den Fliegenden Bauten bekannte Italiener Ennio Marchetto: Als „The Living Paper-Cartoon“ bringt er nur mit seinen Papierkleidern Stars wie Madonna, Cher, Michael Jackson, die Mona Lisa, die Queen und Angela Merkel auf die Bühne. Überhaupt die Frauen. Mit der Bayerin Martina Schwarzmann („Gscheid gfreid“) hat am 15. Mai eine stets etwas schräge Musikkabarettistin Premiere. Ebenso tags darauf der Hamburger DamenLikörChor: Das bis zu 40 Frauen starke Ensemble um Andrea Bongers und Jutta Jahnke präsentiert sein neues Programm „Sekt und Lachs und Rock’n’Roll“.

Wohlklang und Gewicht hat auch die Stimme von Thomas Quasthoff. Der gefeierte Bassbariton singt, spielt und rezitiert mit Michael Frowin, dem Künstlerischen Leiter auf dem Theaterschiff, erstmals auf einer großen Hamburger Bühne ihr gemeinsames Kabarettprogramm „Keine Kunst“ (17./18.5.)

Wo da die politischen Kabarettisten bleiben? Klavierzyniker Hagen Rether betreibt mit seinem sich ständig aktualisierenden Programm „Liebe“ am 21. und 22. Mai Volksaufklärung, Cellovirtuose Matthias Deutschmann kommt am 24. Mai in seinem „Solo 2014“ alles andere als streichzart daher, und Mathias Richling – dritter Stammgast in Wallers Aufgebot – setzt sich vom 29. Mai bis 1. Juni in seinem neuen Programm „Deutschland to go“ mit der Realität der Republik und Europas auseinander. Damit feiert der schwäbische Spötter und Parodist bereits sein 40. Bühnenjubiläum. Was erst recht beweist: Große Kleinkünstler sieht man öfter als zweimal im Leben.

27. Hamburger Kabarettfestival Fr 9.5.–So 1.6., jew. 20.00, St. Pauli Theater (S Reeperbahn), Spielbudenplatz 30, Karten zu 16,- bis 35,60 unter T. 47 11 06 66; Programm: www.st-pauli-theater.de