Ilse von Bredow schrieb noch am Ende ihres Lebens über die Kindheit. Jetzt ist sie 91-jährig in Hamburg gestorben

Hamburg. Fast bis zuletzt hat sie noch geschrieben, redigiert und Texte für ihren Band „Bei uns zu Haus“ bearbeitet. Das Buch, in dem es um eine untergegangene Welt geht, um das Leben einer adeligen Familie in einem brandenburgischen Forsthaus, ist am Donnerstag beim Scherz Verlag erschienen (304 Seiten, 16,99 Euro). Ilse Gräfin von Bredow hat ihr letztes Buch nicht mehr in die Hand nehmen können, sie starb bereits am 20. April im Alter von 91 Jahren in Hamburg.

Die Kindheit, in die sie mit ihrem letzten Buch noch einmal zurückgekehrt ist, war für Ilse von Bredow lebenslang prägend. Überhaupt ist es die Familie und die eigene Geschichte, über die die Tochter eines traditionsreichen märkischen Adelsgeschlechts so fesselnd und zugleich humorvoll zu erzählen verstand, dass ihre Bücher oft zu Bestsellern wurde. „Einen besseren Stoff als die Bredows gibt es in der Mark Brandenburg nicht“, hatte Theodor Fontane konstatiert, und Ilse von Bredow hat diesen Stoff meisterhaft gestaltet: anschaulich, lakonisch und manchmal mit einem Hauch von Melancholie.

Geboren wurde sie 1922 im schlesischen Teichenau als jüngstes Kind des Grafen Sigismund von Bredow, sie wuchs aber im märkischen Havelland auf. Tradition war in dieser Familie selbstverständlich, man wusste um die eigene Stellung in der preußischen Geschichte. Friedrich Ludwig Wilhelm von Bredow, Ilses Urururgroßvater, war 1798 in den preußischen Grafenstand erhoben worden. Die Bredows waren Gutsbesitzer oder Offiziere, manche traten in den preußischen Staatsdienst ein oder wurden Politiker. Ilse von Bredows Kindheit im Forsthaus von Lochow im Westen des heutigen Landkreises Havelland war wohlbehütet. Die charaktervollen, originellen und manchmal auch schrulligen Verwandten, denen das Kind hier begegnete, tauchen später als kaum verfremdete literarische Figuren in ihren Texten wieder auf. Authentisch ist zum Beispiel der hoffnungslos verschuldete Onkel, der besonders renitenten Gläubigern den folgenden Brief zu schicken pflegte: „Sehr geehrte Herren! In der Weihnachtszeit findet bei mir zu Hause eine Lotterie mit unbezahlten Rechnungen statt. Sollte ich aber noch eine einzige Mahnung von Ihnen erhalten, sehe ich mich gezwungen, Ihre Rechnung von der Verlosung auszuschließen.“

Ilse von Bredow war zehn Jahre alt, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen und die unbeschwerte Kindheit zu Ende ging. Sie besuchte ein Internat und wurde während des Krieges zum Arbeitsdienst beordert. Als das „Tausendjährige Reich“ in Trümmer fiel und die Rote Armee anrückte, floh auch die Familie von Bredow Richtung Westen. Mit dem Fahrrad fuhr die junge Gräfin, die an schwerer Tuberkulose erkrankt war, nach Niedersachsen. Sechs Jahre verbrachte sie nun in Sanatorien und Krankenhäusern.

Der Debütroman „Kartoffel mit Stippe“ wurde 1979 zu einem Sensationserfolg

Erst 1955 war ihre Gesundheit wiederhergestellt, von jetzt an lebte sie in Hamburg. An eine Berufsausbildung war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken, so schlug sie sich mit Gelegenheitsjobs durch, ging putzen und arbeitete als Babysitter. Durch Zufall fand sie 1961 Kontakt zum Hamburger Abendblatt, wo sie als freie Mitarbeiterin zunächst Texte für die Kolumne „Menschlich gesehen“ schrieb. „Als ich mit dem Schreiben richtig in Fahrt kam, war ich fast schon 50“, erinnerte sie sich vor knapp zwei Jahren in einem Interview.

Bald schrieb sie auch längere Texte, Reportagen und Erzählungen. Das Erinnerungsbuch „Kartoffeln mit Stippe“ war schließlich ihr erster Roman, der im Winter 1979 erschien. Am Anfang schien sich kaum jemand dafür zu interessieren, enttäuscht stellte die Gräfin fest, dass ihr Roman in den Buchhandlungen kaum zu finden war. Aber auf einmal wendete sich das Blatt: Plötzlich stand das Buch auf der „Spiegel“-Bestsellerliste, lange Zeit blieb „Kartoffeln mit Stippe“ auf Platz eins. Der Debütroman wurde ein Sensationserfolg und bescherte der Autorin sogar einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde. Das ZDF machte aus dem Buch 1990 einen dreiteiligen Film.

„Denn Engel leben nebenan. Rückkehr in die märkische Heide“ (1995), „Glückskinder. Roman aus einer märkischen Adelsfamilie“ (2000), „Adel vom Feinsten. Geschichte aus vornehmen Kreisen“ (2007) oder „Das Hörgerät im Azaleentopf“ (2011) sind weitere Titel der Gräfin, die fast immer autobiografische Motive gestaltet hat. Auch wenn sie lange vor Wende und Wiedervereinigung über ihre verlorene Heimat im Osten schrieb, geschah das stets ohne Pathos und Ressentiment. Insgesamt erreichten Ilse von Bredows Bücher eine Millionenauflage. Den unprätentiösen, humorvollen und lakonischen Erzählton, der erheblich zum Erfolg ihrer Bücher beigetragen hat, erklärte Ilse Gräfin von Bredow 2012 in ihrem letzten Abendblatt-Interview mit einer familiären und landsmannschaftlichen Prägung: „Mein Vater konnte sehr komisch sein. Es ist wohl eine Mischung aus dem Märkischen und dem Schlesischen. Märkisch ist der trockene Humor, schlesisch sind die Ironie und die Redseligkeit.“

Kindheit als Lebensthema: das erste und das letzte Bredow-Buch, das erst an diesem Donnerstag erschienen ist