Ein Kommentar von Matthias Iken

Die Revolution stirbt vor dem Amtsgericht Niebüll. Auch gestern fand sich kein Bieter für das ehemalige Rio-Reiser-Haus in Fresenhagen. Auf nicht einmal 300.000 Euro Verkehrswert hatten die Sachverständigen den 18-Zimmer-Hof zuletzt taxiert, auf den sich die Band Ton Steine Scherben 1975 zurückgezogen hatte – für dieses Geld bekommt man in der Hansestadt kaum eine Dreizimmerwohnung. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass zuletzt Rio Reisers Bruder sogar das Kieler Kultusministerium angepumpt hatte. Der Staat als Retter des Reethofs? Ton Steine Scherben verstand sich als musikalischer Arm der Hausbesetzerszene. Ihre Hits wie „Keine Macht für Niemand“, „Der Kampf geht weiter“ oder „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ waren Begleitmusik der Jugendrevolte.

Und doch: Ton Steine Scherben – obwohl von Plattenindustrie und Radio boykottiert und von Medien und Politik kriminalisiert – war keine kleine Polit-Combo, sondern die vielleicht wichtigste Band Deutschlands. Sie prägt bis heute. Vor Udo Lindenberg sang sie auf Deutsch und inspirierte damit Musiker von NDW bis zur Hamburger Schule, sie war Wegbereiter für Deutschrock, Punk, für eine neue deutsche Volksmusik. Andere verdienten Millionen mit dem musikalischen Erbe der ewigen Pleitiers. Nur für den Rio-Reiser-Hof gibt es keinen Cent. Nun entscheidet der Gläubiger, eine Bank. Welch’ Ironie.

Man darf bedauern, dass dieser Ort der Musikgeschichte so endet.