Akif Pirinçci sieht „Deutschland von Sinnen“. Ein wichtiger Debattenbeitrag ist das nicht

Hamburg. Ein Buch erobert derzeit die Bestsellerlisten und Nachttische, ein Buch, in dem unter anderem die Aussage getätigt wird, dass die Deutschen „das größte Hosenscheißervolk der Welt“ seien. Passenderweise heißt das Buch „Deutschland von Sinnen“, verfasst wurde es von einem Prediger, der sich als deutscher Superpatriot versteht: Gestatten, Akif Pirinçci, einst Autor von weltweit millionfach verkauften Katzenkrimis („Felidae“), geboren 1959 in Istanbul, seit 1969 mit Leib und Seele Deutscher. Und als solcher besorgt um „Deutschland, meine Mutter“, wie er das Land nennt, das seiner Meinung nach den Bach runtergeht: der „linksversifften Presse“, der „Hampelmänner“ in der Politik und der ganzen soziokulturellen Entwicklung wegen.

Was in Deutschland alles falsch läuft im Namen des Toleranzgedankens, den Pirinçci verabscheut, benennt er im Untertitel seines ressentimentgeladenen und stellenweise menschenverachtenden Pamphlets: „Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“. Kurz gesagt, verdammt Pirinçci all das, was eine von uns zu Recht als modern empfundene, weltoffene und demokratische Gesellschaft ausmacht.

Beeindruckend, oder? Ein Einwanderer, der Deutschland anscheinend besser versteht als jeder andere und deshalb in einer Tirade ohne Furcht und Bescheidenheit, ohne Anstand und Verstand zur verbalen Attacke gegen Minderheiten ausholt: „Der Islam gehört zu Deutschland wie die Reeperbahn zu Mekka.“ Als Erstschlag kann man seine gewaltige Offensive für eine seltsam antiquierte Welt nicht bezeichnen, in der es am besten so zugehen soll wie vor 1968 und der Liberalisierung der Lebensumstände, in der Schwule keine große Sache aus ihren Neigungen machten (gut, kriminalisiert werden müssen sie nicht unbedingt), Frauen weniger selbstständig waren, es die EU noch nicht gab und die Zuwanderer in Deutschland noch nicht schmarotzerhaft und tyrannisch den Diskurs bestimmten.

Natürlich fühlt man sich im Falle Pirinçcis nur zu gut an den ebenfalls sehr sendungsbewussten Herrn Sarrazin erinnert, der mit seinen islamophoben Betrachtungen in „Deutschland schafft sich ab“ auf ähnlich berechnende Weise Tabus zu brechen vorgab. Sarrazin bemühte Statistiken, mit solchen hat Pirinçci aber gar nichts am Hut – der Mann kann schreiben, hat eine Giftfeder und ist, wenn man seinen Rundumschlag als Performance begreift, sogar unterhaltsam. Zahlen und Fakten scheren ihn nicht, es geht um die pointiert formulierte Parole, mit der zum Pläsier des Publikums dem ach so meinungsmonopolistischen Establishment ans Bein gepinkelt wird.

Pirinçci nimmt sich in seiner mal witzig, mal erschreckend verantwortungslos geschriebenen, aber immer vulgären, populistischen, hysterischen und alarmistischen Schrift so ziemlich jedes Stammtischthema vor: die „Umverteilungsscheiße“ in einem den einzelnen High Performer steuertechnisch ständig schröpfenden Staat, die Intellektuellen und ihre angeblich angemaßte Deutungsmacht, das öffentlich-rechtliche Fernsehen („Mit dem Arschloch sieht man besser“) und alle anderen „Journalistendarsteller“, wie Pirinçci sie nennt.

Es ist die wohlfeile Lust an der Provokation, die Pirinçci antreibt. Zu der gehört die Komplexitätsreduktion. Dieser steht man mitunter hilflos gegenüber wie die Moderatorin des ZDF-„Mittagsmagazins“, die dem großsprecherischen Getue des tatsächlich noch nicht einmal unsympathischen Autors nichts entgegenzusetzen hatte.

Wahrscheinlich hatte niemand in der Redaktion das Buch, in dem auch das ZDF so gnadenlos sein Fett wegkriegt, gelesen. Das Werk erscheint im Manuscriptum-Verlag, der dem Gründer des Manufactum-Handelshauses gehört, und grundsätzlich eine eher rückwärtsgewandte Haltung pflegt.

Was ist „Deutschland von Sinnen“ nun? Mit Sicherheit kein Sachbuch und kein Horizonte öffnender Debattenbeitrag, sondern das Sammelbecken einer Wut, die sich aus vielem speist: Überforderung, dem Gefühl, zu kurz zu kommen, und einem Missbehagen an einer unübersichtlichen Welt; durchaus auch dem scharf fokussierten Blick auf Kritikwürdiges.

Der Erfolg Pirinçcis zeigt sich an der Vielzahl seiner Leser, wobei deren „Endlich sagt’s mal einer“-Chor schief klingt: Wer will schon wirklich in einer Welt leben wie der zornige Herr Pirinçci sie sich wünscht?

Akif Pirinçci: „Deutschland von Sinnen“ Manuscriptum. 276 S., 17,80 Euro