Alexander Posch ist Hausmann und Vater von drei Kindern. Mit „Sie nennen es Nichtstun“ ist dem Schriftsteller ein hinreißender Debütroman gelungen

Hamburg. Wie sieht es aus, das gute Leben? In Rahlstedt an einem Wochentag um elf Uhr vormittags etwa so: Frühlingssonne, Eis und Kaffee im Eiscafé, original italienisch. Einen kleinen Nachteil hat Alexander Posch allerdings heute. Er kann nicht wie ein junges Reh durch die Fußgängerzone springen. Das macht man ja manchmal, wenn alles fein ist. Auch in Rahlstedt.

Wir stellen uns vor, es spränge jetzt ein leibhaftiges Reh über den Asphalt, und keiner fände das seltsam. In Poschs gerade erschienenem Buch „Sie nennen es Nichtstun“ könnte das genau so sein. Ein Reh, keine Verwunderung. Weil Posch in diesem sensationellen literarischen Kleinod, an dem er jahrelang gearbeitet hat, nicht stur auf der Realismusschiene fährt, sondern ins surreale Feld hüpft, wenn ihm danach ist, weil er die heldenhafte Existenz eines Schriftstellers, der seinen Alltag als Hausmann und Vater dreier Kinder im Einfamilienhaus fristet, auf so wunderbarste Weise überzeichnet, dass man aus dem Lachen nicht mehr herauskommt, manchmal aber auch betroffen schluckt.

Wenn man Posch so vom persönlichen Lektüreerlebnis erzählt, dann freut ihn das. Der Mann, der sich derzeit nach einem Badminton-Malheur auf Krücken fortbewegt, gehört seit vielen Jahren zur Literatur-Guerilla Hamburgs, im legendären Macht-Club zelebrierte er mit anderen Entertainment mit Buchstaben. Aber ein Buch hatte er bislang noch nicht so richtig veröffentlicht. Er ist keiner für die lange Strecke, sondern – Achtung: keine Übertreibung! – einer der besten Kurzprosaisten überhaupt. Und er redet, wenn man ihn zum Interview trifft, wie ein Wasserfall. Über die jüngere Vergangenheit, als er mit Leuten wie Sven Amtsberg und Michael Weins durch die Literaturszene wirbelte, Popmusik, Clubkultur und Dadaismus verband: Einmal ließen sie im Literaturhaus eine Skulptur der „Blechtrommel“ aus Schweinehack modellieren. Ein anderes Mal feierten sie vier Tage lang „Sommer im Winter“ und legten im Januar ausgewachsene Autoren zur Lesung in den Swimmingpool.

„Wir mögen Literatur, wir lesen gerne, aber zum offiziellen Literaturbetrieb wollten wir nie gehören“, sagt Posch, der in „Sie nennen es Nichtstun“ ziemlich ungeschminkt über die großen Themen schreibt, über die Liebe, den Tod, das Leben. Er hat seinem Roman, der aus etwa 30 Alltagsminiaturen besteht – manche von ihnen erschienen bereits in Anthologien oder andernorts – und außer surreal und komisch auch versponnen ist, makaber, märchenhaft, traurig und melancholisch, ein Motto vorangestellt: „We’re Happy Family“. So sangen es die Ramones. Und er hat dem Text noch etwas vorangestellt: „Alles erfunden. Figuren an einem ausgedachten Ort, Rahlstedt genannt, der Fantasie des Autors entsprungen“.

Das muss man vielleicht dazu sagen, wenn man ein Leben beschreibt, das dem eigenen so verteufelt ähnlich sieht. Der Protagonist in Poschs Roman ist beharrlich in einer Dauerkrise gefangener Familienvater, der mürrisch seinen Dienst als erste Erziehungsinstanz, Putzmann, Koch und Chauffeur verrichtet, während seine Frau Geld verdienen geht. Der Job als Hausmann hält ihn vom eigentlichen ab, vom Schreiben. Von der Familie hagelt es Spott für sein „Nichtstun“, denn Schreiben, mit dem niemand Geld verdient, ist ja kein Job.

Die Frau mosert, die Kindern fressen Lebenszeit und stehen immer gegen das, was hätte sein können: die schillernde Künstler- oder wenigstens Bohème-Existenz. Auf köstliche Weise eingefangene Szenen eines bisweilen am Rande des totalen Zusammenbruchs stehenden Großstädters, der zu allem Unheil auch noch an einem recht unglamourösen Ort wohnt mit unglamourösen Menschen, die einen Vater als Kinderbespaßer irgendwie unnatürlicher finden als eine Mutter. „Meistens sind das Frauen, eigentlich nur Frauen, die mich ansprechen, die Männer stehen gebückt im Vorgarten und grunzen, und alle sehen sie gleich aus. Schuhe, Hose, Jacke, Hut, fertig ist der Rahlstedter“, schreibt er einmal.

Posch stammt direkt von nebenan, aus Tonndorf. Früher wohnte er auch mal am Pferdemarkt, aber da verlor er sich fast an die Nacht, unbedingt zum Unsteten neigender Zeitgenosse, der er ist. Früher hat er Leute bewundert, die sich durchschummeln im Leben, er lernte sie in Australien kennen oder in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die er einst bereiste. Nee, sagt er, festlegen wollte er sich nie: Kein Streben nach Geld, keines nach Karriere. Aber er wollte fünf Kinder, „klar, denn so jemandem wie mir tut Familie gut“.

Bedeutsame Aussage, das. Wer beim Lesen von „Sie nennen es Nichtstun“ glaubt, Posch liebe seine Kinder nicht, diese Quälgeister, denkt falsch, natürlich. Man darf ja auch nie Autor und literarische Figur verwechseln. Wir nehmen jetzt einfach mal an, dass sie bei Poschs zu Hause darüber lachen, wenn unter den Lesern wieder mal die Rede darauf kommt, wie viel Wahrheit denn in dem Buch stecke. Oder wenn ein Rahlstedter ihn auf der Straße anspricht und klarstellt, dass hier nie ein Hundefriedhof gewesen sei wie in einer der Geschichten behauptet, obwohl Posch doch ohnehin zugibt: alles erfunden. Seine Frau fand sich ein bisschen schlecht getroffen, erzählt Posch, „andere Leserinnen sagen, sie kommt rüber wie eine starke Persönlichkeit“.

Das wichtigste Merkmal guter Literatur – sie ist vielschichtig und in verschiedene Richtungen deutbar. Auf der einen Seite ist Poschs Buch die durchaus bitterböse Koketterie mit dem beruflichen Scheitern und eine pointierte Studie der Familienhölle mit aufsässigen Sprösslingen: „Manchmal bist du echt einfältig wie Homer Simpson“, ist so ein Satz, den er sich anhören muss. Und beizeiten ist es ein Zeugnis des wohlgepflegten, ironischen Selbsthasses. „Tatsächlich hat man ja als Schriftsteller irre viel Zeit und man macht nichts, außer schreiben und denken“, sagt Posch. „Eigentlich ist man ein Gammler. Und dann ist man tot, und nichts bleibt von einem.“

Aber es ist auch ein Fundstück für Gesellschaftsforscher. Ist das nicht modern, zu Hause zu bleiben als Mann? Im Buch ist die Gattin Ornithologin, in der Wirklichkeit Meteorologin. Sie haben sich gut arrangiert. Posch ist Mitte 40 jetzt, seine Kindern 16, 14 und zwölf Jahre alt; er arbeitet immer noch hin und wieder als Kulturveranstalter, „aber Geld verdient man da eher nicht“. Er geht zwei Mal die Woche in der Schule seiner Kinder kochen. Er gibt Kindern aus Migrantenfamilien Deutschunterricht. Posch berichtet mit Vaterstolz von seinen Kindern, er veralbert die abwesende Älteste, die neulich zur Sprache gebracht hat, dass sie in den Ferien doch auch mal gerne zum Shoppen nach New York flöge. Herrlich, diese Anspruchslosigkeit der Jugend!

Die Lehrerin der Tochter will demnächst zu einer Lesung kommen. Er liest dauernd derzeit, auch auf Einladung in Privatwohnungen. Die Bekenntnisse des Hausmanns, der verloren ist in Rahlstedt – die wollen viele hören, und sie ergeben ja auch tatsächlich eines der überragenden Bücher dieser Literatursaison.

Nächste Lesungen am 14. April, Werkstatt 3, Ottensen, 20 Uhr, am 24. April in Le Kaschemme, Rendsburger Straße 14, 20 Uhr, und am 14. Mai, Planten un Blomen, Konzertmuschel, 20 Uhr

Alexander Posch: „Sie nennen es Nichtstun“. Langen Müller. 185 S., 17,99 €