Es sind meist ältere Herren, die die Modellbahn im Hamburg Museum betreiben – nun schon seit 65 Jahren

Hamburg. Auf Gleis 3 rollt ein Nahverkehrszug heran, der gleich darauf im Bahnhofsgebäude zum Stehen kommt. Gezogen wird er von einer Dampflokomotive, aus deren Schornstein dünner Rauch quillt. Drei Gleise weiter rumpelt ein Güterzug vorbei, eine Rangierlok schiebt drei Kühlwagen auf ein Abstellgleis. Weichen werden gestellt, Signale wechseln die Farbe, ein ICE rauscht heran, muss aber kurz warten, weil sein Gleis noch von einem Regionalexpress besetzt ist. Seit 65 Jahren liegt der Bahnhof Hamburg-Harburg am Holstenwall, im Hamburg Museum.

Fünfmal am Tag herrscht hier Hochbetrieb, aber alles läuft nach Plan. Mit Spielzeug hat das natürlich nichts zu tun, eine solche Bemerkung sollte man sich im Gespräch mit den Mitgliedern des MEHEV, des Modelleisenbahn Hamburg e.V., tunlichst verkneifen, denn in Wahrheit geht es hier um Kultur, Geschichte und Technik. Aber auch um Dinge, die schwer in Worte zu fassen sind. Was ist es, dass die etwa 40 MEHEV-Mitglieder motiviert, einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit in einer der größten europäischen Modellbahnanlagen der Spur 1 zu investieren? Was treibt die meist älteren Männer an, Woche für Woche viele Stunden damit zu verbringen, in komplizierter Handarbeit Modelle zu bauen, zu warten, zu reparieren und betriebsfähig zu halten? Darauf antwortet Geschäftsführer Eduard-C. Schütt scherzhaft mit einer eher medizinischen Diagnose. „Es ist der Bazillus“, sagt der 76-Jährige, der nie selbst Eisenbahner war, sondern als Maschinenbauingenieur eine Entwicklungsabteilung geleitet hat.

Der Modellbahn-Bazillus befällt meistens schon im Kindesalter fast ausschließlich Männer, die ihn ihr Leben lang nicht wieder loswerden. „Ich stamme von der Insel Fehmarn, wo ich als Junge eine Modelleisenbahnanlage kennengelernt habe, die mich sehr beeindruckt hat. Später hatte ich dann selbst eine, jedenfalls hat mich das Thema mein Leben lang beschäftigt“, sagt Schütt. Aber sind Modelleisenbahner im Computerzeitalter nicht eine aussterbende Spezies? Ist die Modelleisenbahn nicht zwangsläufig ein vielleicht liebenswerter, am Ende aber doch zum Untergang verurteilter Anachronismus, ein analoges Museumsstück in der immer virtuelleren Welt? Und hat die gute alte Modelleisenbahn vielleicht nur dann noch eine Chance, wenn sie voll auf Hightech setzt und so größenwahnsinnig wird, wie das die Brüder Braun in der Speicherstadt mit ihrem „Miniaturwunderland“ vorgemacht haben?

Die überwiegend ergrauten MEHEV-Mitglieder haben diese und ähnliche Argumente natürlich schon oft gehört. Eduard Schütt lächelt nachsichtig, bevor er zu einer differenzierten Standortbestimmung ansetzt. „Kleine Kinder lassen sich noch immer schnell für die Modellbahn begeistern. Wenn sie größer werden, ist das schwieriger. Dann siegen die Computer“, sagt er. Andererseits würden Männer im gereiften Alter oft zum Hobby ihrer Kindheit zurückfinden. Und das Verhältnis zum MiWuLa, wie das Miniaturwunderland fachintern genannt wird, sei ausgezeichnet. „Was Gerrit und Frederik Braun da in der Speicherstadt auf die Beine stellen, finden wir wunderbar. Wir machen gegenseitig Werbung, unterscheiden uns aber auch“, sagt Schütt durchaus selbstbewusst. Im MiWuLa, wo es nicht nur um die Eisenbahn, sondern auch um Autos, Schiffe und Flugzeuge gehe, sei bei aller Wirklichkeitsnähe auch viel Fantasie im Spiel. „Bei uns sieht man nicht Knuffingen, sondern Hamburg-Harburg und den Hamburger Güterbahnhof mit der Pfeilerbahn im historisch getreuen Zustand der frühen 90er-Jahre“, sagt der Geschäftsführer, um noch auf einen anderen, vielleicht noch entscheidenderen Unterschied hinzuweisen: Einerseits sei das MiWuLa natürlich unendlich viel größer, andererseits aber eben auch deutlich kleiner. In der Speicherstadt rollen die Züge in der Spur H0 (1:87), am Holstenwall aber in der etwa zweieinhalb mal größeren Spur 1 (1:32), die viel detaillierter und damit realitätsnäher sind. Selbst Federungen oder Puffer seien hier weitgehend originalgetreu.

Und was die Faszination ausmacht, ist immer der Bezug zum großen Vorbild. Die Unüberschaubarkeit der großen Welt wird im verkleinerten Abbild auf wunderbare Weise beherrschbar. Anders als im wirklichen Leben kann etwa Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der seit Kindertagen vom Modellbahn-Bazillus befallen ist, auf seiner Kelleranlage allein bestimmen, ob die Kanzlerin auf der Lok mitfährt, oder auf dem Bahnsteig stehen bleibt. Solche Machtspiele sind den MEHEV-Mitgliedern natürlich fremd, ihnen geht es allein um die große und die kleine Eisenbahngeschichte. Ihre Anlage wurde im Herbst 1949 im Hamburg Museum eröffnet, sie hat 1200 Meter Gleislänge und jede Lokomotive legt pro Jahr 150 Kilometer zurück. Irgendwann soll die Anlage zwar innerhalb des Museums in andere Räume ziehen, aber – davon sind Eduard Schütt und seine Mitstreiter überzeugt – ganz bestimmt nicht aufs Abstellgleis.

Modellbahn im Hamburg Museum Holstenwall 24, Vorführzeiten Di–Sa 11, 12, 14, 15 und 16 Uhr, So 12, 14, 15, 16 und 17 Uhr