Fünf Jahre nach dem letzten Roman meldet sich der Autor mit „Breaking News“ in den Bestsellerlisten zurück

Fast 1000 Seiten, 500.000 Exemplare Startauflage, die Kinoverwertung im Visier und die komplette Geschichte des Staates Israel als Hintergrund eines Verschwörungsthrillers: Frank Schätzing ist kein Mann für halbe Sachen. Dass es knapp 600 Seiten braucht, bis der zentrale Plot sich offenbart, kann sich nur jemand leisten, der millionenfach verkaufte Bestseller („Der Schwarm“, „Limit“) auf dem Konto hat und sich von keinem Lektor in die dramaturgische Suppe spucken lassen muss.

Aber: Schätzing ist einer, der in der Regel die Seiten zu füllen weiß, der den Volkshochschullehrer und Thrillerexperten in Personalunion gibt. Weltgeschichte unterhaltsam aufschreiben, das kann er. Und so wird, wer „Breaking News“ liest, fast nebenbei zum Israel-Experten. Vom Exodus der Juden aus Deutschland und der Sowjetunion in den späten 20er- und frühen 30er-Jahren über die Staatsgründung 1948, den Sechs-Tage- und Jom-Kippur-Krieg, den Libanon-Feldzug, die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila: Schätzing lässt nichts aus. Und wie üblich ist das, was er schreibt, gut recherchiert. Kein bloßes Wikipedia-Wissen, sondern durch Expertenbefragungen, Filme, Reisen in einige der beschriebenen Gebiete veredelt.

So füllt sich eine Geschichte mit Leben, in der zwei jüdische Familien und ein Kriegsreporter die Hauptrollen spielen. Wobei die sorgsam aufgeblätterten Familiengeschichten das Herzstück dieses Thrillers sind. Durch sie wird Zeitgeschichte lebendig, verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion.

Da sind die Kahns, aus Berlin nach Palästina eingewandert, die sich in einem kleinen Wüstendorf mit den weithin isolierten Scheinermanns anfreunden. Vor allem die Söhne – Benjamin und Jehuda auf der einen Seite, Arik auf der anderen – verbindet eine lebenslange Freundschaft. Und Arik ist ein ganz besonderer Junge: durchsetzungsfähig, verbissen, aggressiv – eine geborene Führungspersönlichkeit. Aus ihm wird Ariel Scharon, der spätere Verteidigungsminister und Ministerpräsident Israels. Ein Falke, dem die Mitschuld an zahlreichen Kriegsverbrechen vorgeworfen wurde. 2006 erlitt er nach einem leichten Schlaganfall Hirnblutungen und fiel ins Wachkoma. Im Januar dieses Jahres starb er an multiplem Organversagen.

Ariel Scharons Lebensgeschichte ist für Schätzing nicht nur der rote Faden, seine plötzliche Erkrankung auch Dreh- und Angelpunkt einer clever konstruierten Verschwörungstheorie, bei der dem israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet eine tragende Rolle zukommt.

Zum Katalysator der Geschichte wird der deutsche Reporter Tom Hagen. In Afghanistan hat der ehemalige Starjournalist durch übertriebenen Ehrgeiz eine Geiselbefreiung vermasselt, in Libyen knapp den Moment der Ergreifung Gaddafis verpasst. Der Mann ist fertig, ausgemustert, ein Trinker, verfolgt von den Dämonen der Vergangenheit.

Und der Grund, warum „Breaking News“ atmosphärisch leider immer wieder einbricht. So genau und differenziert Schätzing die jüdische Gefühlslage beschreibt, so plastisch Benjamin, Jehuda und Arik werden, so eindimensional bleibt Tom Hagen, der stets zwischen Sarkasmus und Lakonie schwankt. Und einen sehr wahren Satz sagt: „Ich bin ein wandelndes Klischee.“ Immer dann, wenn er im Mittelpunkt der Geschichte steht, verfällt Schätzing in ein ungesundes Hauptsatz-Stakkato, lässt sich keine Zeit mehr für Zwischentöne. Stattdessen gibt es coole Sprüche und einen übertrieben lässigen Erzählton, etwa wenn es über das Gesicht einer wichtigen Zeugin heißt: „Hagen hat schon vor Wohnzimmerwänden gestanden, die weniger weiß waren.“

Aktuell arbeitet der gefallene Starreporter für ein weitgehend bedeutungsloses Onlineportal, das aber seltsamerweise über ausreichende finanzielle Ressourcen verfügt, um ihn wochenlang durch Syrien und Israel reisen zu lassen. Ohne konkretes Ergebnis wohlgemerkt. Und weil das nicht länger so weitergehen kann, weil der Ressortleiter immer drängender nach einer Knallergeschichte verlangt, die die Investitionen rechtfertigt, erfindet der in die Ecke Gedrängte kurzerhand eine Topstory. Eine Verschwörung will er aufgedeckt haben, das ihm vorliegende Material müsse nur noch zu Ende ausgewertet werden. Was Hagen nicht ahnt: Er hat voll ins Schwarze getroffen. Sein Problem: Es gibt Menschen, die dieses Telefonat abgehört haben. Und die wissen wollen, woher der Reporter seine Infos bezieht. Um jeden Preis. Hagens Enthüllung würde ihnen das Genick brechen. Dann brechen sie doch lieber seins. Und nehmen sich auch gleich all jener an, die Zeugen sind, sein könnten oder sich schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort befinden.

Mit „Lautlos“ lieferte Frank Schätzing bereits vor 14 Jahren einen perfekt konstruierten Thriller vor weltpolitischem Hintergrund ab. Damals standen der Kosovo-Konflikt und ein geplantes Attentat auf US-Präsident Bill Clinton im Zentrum. „Breaking News“ läuft nach ähnlichem Strickmuster, ist aber knapp 300 Seiten länger geworden – und damit schlicht zu lang. Ohne Not hätten sich ganze Erzählstränge herauskürzen lassen, die den Fluss der Geschichte nur unnötig aufhalten und immer wieder das Tempo rausnehmen. Da war noch mehr drin.

Dem Verlag wird’s wohl egal sein, denn an die Spitze der Bestsellerlisten dürfte Frank Schätzing sich mit „Breaking News“ dennoch einmal mehr setzen.

Frank Schätzing: „Breaking News“, Kiepenheuer & Witsch, 976 Seiten, 26,99 Euro