Unter dem Motto „Bar Mitzwah“ findet in Hamburg zum ersten Mal die Jewrovision statt, der größte jüdische Gesangs- und Tanzwettbewerb Europas

Hamburg. „Peace“ steht in großen Lettern auf dem T-Shirt, das Alexandra Lachmann zur schwarzen Leggings trägt. Die 13-jährige Hamburgerin hält ihre Hand mit den gelb lackierten Fingernägeln vor den Mund, als greife sie ein Mikrofon. Und dann beginnt sie zu singen. „Das Lied handelt von dem Tag, an dem man erwachsen wird. Und davon, die Tradition weiterzugeben“, erzählt sie später. Leicht außer Atem. Und gehörig aufgeregt. Denn am Sonnabend, da wird sie den Song über ein richtiges Mikro in einem Saal des CCH anstimmen. Vor 1200 Menschen. An diesem Wochenende steigt in Hamburg zum ersten Mal die Jewrovision, der größte jüdische Gesangs- und Tanzwettbewerb Europas und das musikalische Hauptereignis der jüdischen Gemeinde in Deutschland. Als „Mischung aus Schlagerfestival, Schullandheim und Fußballarena-Südkurve“ schilderte die „Süddeutsche Zeitung“ 2013 die zwölfte Jewrovision in München. Und wer sich Videoclips von dieser Sause ansieht, hört tatsächlich ein Jubeln, als stünden da Teenagerlieblinge wie die Boyband One Direction im Rampenlicht.

Mit einem kleinen Augenzwinkern, aber mit nicht minder großer Begeisterung haben die Initiatoren ihre Veranstaltung an den berühmten Eurovision Song Contest angelehnt. Nur dass bei der Jewrovision nicht – wie bei der großen Show-Schwester – die Länder ihre Talente ins musikalische Rennen schicken, sondern 18 jüdische Jugendzentren von München über Bremen und Berlin bis Oberhausen. Anfangs von den Jugendzentren selbst ausgerichtet, hat im vergangenen Jahr der Zentralrat der Juden in Deutschland die Organisation übernommen. Für Präsident Dieter Graumann ist die Revue ein gutes Beispiel, um eine „komprimierte, heitere, temperamentvolle Jüdischkeit“ zu präsentieren. Ein Judentum also, das sich – neben der wichtigen Erinnerungsarbeit – als starke, junge, innovative und vor allem lebensfrohe Gemeinschaft zeigt.

Allein mit der Moderation ist für reichlich zielgruppenaffinen Glamour gesorgt. Schauspielerin Susan Sideropoulos hat einen griechischen Vater, ihre Mutter wiederum wurde in Israel als Kind deutschjüdischer Flüchtlinge geboren. Bereits im vergangenen Jahr leitete die 33-Jährige euphorisch durch die Show. Und sehr viel Energie ist auch bei der Probe in Hamburg zu spüren.

„Aufstellen, bitte!“, ruft Xenia Fuchs durch die Aula der Joseph-Carlebach-Schule im Grindelviertel, wo die Jüdische Gemeinde in Hamburg ihren Sitz hat. Aus einer Box ertönen laute Pop-Rhythmen, in einer Ecke hat sich gut ein Dutzend Teenager versammelt. Zehn bis 19 Jahre sind sie alt. Und Fuchs, eine Frau von resoluter Herzlichkeit, feuert die Gruppe an, korrigiert Schritte, macht Drehungen vor. Die 30-Jährige – schwarzer Pagenkopf, Ringeljacke – leitet seit zwei Jahren das Jugendzentrum Chasak, das seine Räume in dem Schulgebäude hat. In Sachen Jewrovision ist die Pädagogin ein alter Hase. Seit dem vierten Mal ist sie dabei.

„Es ist selten, dass die teilnehmenden Gruppen selbst eine Melodie komponieren“, sagt Fuchs. „In der Regel schreiben sie einen bekannten Song um oder mixen mehrere ineinander.“ In den vergangenen Jahren wurde da etwa Salt ’n’ Pepas Hip-Hop-Hit „Push it“ durchaus kess in „Ah, this is jüdisch“ umgemodelt. Die Hamburger vom Jugendzentrum Chasak verwandelten 2013 die poppige Swing-Nummer „Here I Am“ des georgischen Musikers Brandon Stone in „Let Us Pray“. Dargeboten von der 17-jährigen Maria Gurevich.

„Die Stimmung war total toll. Am Anfang war ich sehr nervös. Die Jury saß in der ersten Reihe und ich habe die direkt angeschaut. Aber am Ende bin ich richtig aufgegangen in dem Lied“, erzählt Maria, zupft ihre blond-braunen Haare im Nacken zurecht und strahlt. Mit ihrer schmissigen Aufforderung zum Beten belegten die Hamburger Platz vier. Die Jewrovision-Ausgabe an diesem Wochenende ist die 13., weshalb der Zentralrat das Motto „Bar Mitzwah“ gewählt hat. Nach jüdischem Glauben beginnt bei Jungen mit dem 13., bei Mädchen mit dem zwölften Lebensjahr die Religionsmündigkeit, die mit einer großen Feier begangen wird.

Über die Darbietungen im Zeichen des Davidsterns wird in der Jury unter anderen NDR-Moderator Peter Urban urteilen. Der Journalist ist absoluter Experte auf dem Gebiet, kommentiert er doch seit 1997 sachkundig, gelassen und mit norddeutschem Humor den Eurovision Song Contest im Fernsehen. Und obwohl Songauswahl, Choreografie sowie Bühnendekoration für die Jewrovision von den Jugendzentren in etwa so streng gehütet werden wie ein sehr bedeutendes Staatsgeheimnis, sei so viel verraten: Die Hamburger setzen das Thema äußerst impulsiv, knackig und mitreißend um. Bereits bei der Probe ist jenes Pathos zu erahnen, das eine gute Pop-Performance braucht. Mit Trommeln und Fanfaren. Mit großen Gesten, Kicks und Hüftschwüngen. Ein Mix aus Volkstanz-Schwung und Musikvideo-Coolness.

„Das sieht echt gut aus“, lobt Xenia Fuchs und fordert die Jugendlichen dann auf, einen Schluck Wasser zu trinken. „Die Gemeinschaft ist das Wichtigste“, erzählt die Trainerin. Dass die Jugendlichen regelmäßig zum Proben zusammen kommen, Spaß haben, all das stärke ihr Selbstbewusstsein. Und ihre jüdische Identität. Zudem packten viele aus der Gemeinde mit an. Vom Kulissenbau bis zur Kostümschneiderei.

Für die Leiterin ist aber nicht nur die Jewrovision selbst ein Höhepunkt, sondern auch die begleitende Jugendbegegnung, Mini-Machane genannt. Von Freitag bis Sonntag wohnen alle Teilnehmer in einem Hostel in Hamburg. Und sie feiern gemeinsam den Sabbat. „Das ist ein super Feeling, mit 800 Leuten zu beten, zu essen und Stimmungslieder zu singen“, sagt Fuchs. Und sie fügt hinzu: „Natürlich ist das auch eine Koordinationsfrage. Aber alle fassen mit an.“ Und dieser gemeinsame Geist, der fasziniere sie. „Viele der Kinder und Jugendlichen kennen sich bereits von Ferienfreizeiten oder vergangenen Jewrovisions“, erzählt Fuchs. Doch trotz aller Freundschaft schwinge am Abend des Auftritts ebenfalls sportlicher Ehrgeiz mit.

„Ich hoffe auf den ersten Platz“, sagt Mark Rabinovich und grinst. Der Elfjährige trägt zum Rollkragenpulli eine Weste mit Einstecktuch. Er hat Erfahrungen im Showgeschäft. Beim Musical „Tarzan“ sang er die Rolle des jungen Dschungelhelden. Bei der Jewrovision tritt er jedoch zum ersten Mal auf.

Willkommen sind übrigens auch Gäste anderer Glaubensrichtungen. „Hamburg ist eine weltoffene, tolerante Stadt. Bürgerinnen und Bürger aus 100 Religionsgemeinschaften leben hier“, erklärt der Erste Bürgermeister Olaf Scholz, der die Schirmherrschaft übernommen hat. Und er führt weiter aus: „In Hamburg wird die Jewrovision 2014 nicht nur mit Blick auf die Jugend- und Musikkultur für Aufmerksamkeit sorgen. Sie wird auch einen Beitrag zum erstarkenden jüdischen Leben in Deutschland und unserer Stadt leisten.“

Beim Verlassen der Probe fällt der Blick auf eine Tafel mit alten Fotos, die im Foyer der Joseph-Carlebach-Schule hängt. „Sie kämpften für den Frieden“ steht da über leicht vergilbten Gesichtern. Ernst sind ihre Blicke. Das Gelächter der Jugendlichen, das aus der Aula nach draußen schallt, wirkt heilsam.

Mit ihren Freunden, die sie bei der Jewrovision kennengelernt hat und die in Deutschland verteilt leben, hat Sängerin Maria zuvor erzählt, hält sie meist über Facebook Kontakt. Die Geschichte, sie wird weitergeschrieben. Friedlicher. Und fröhlicher.

Jewrovision Sa 1.3., Einlass: 20.15, Beginn: 20.45, CCH (SDammtor), Marseiller Straße, Eintritt: 10,- (Erwachsene), 7,- (ermäßigt), Kartenreservierung: jewrovision@zentralratjuden.de; www.jewrovision.de