Jugendliche aus zehn Nationen zeigen ihr Theaterprojekt über Integration an mehreren Hamburger Schulen

Hamburg. Die Klosterschule am Berliner Tor liegt friedlich im morgendlichen Sprühregen. Schülerinnen und Schüler toben durch die Gänge. Skulpturen in Vitrinen und Bilder an den Wänden künden vom künstlerischen Schwerpunkt der Ganztagsschule. Eine „Lampedusa“-Station sammelt Sachspenden. Das Thema Flüchtlinge ist den jungen Menschen ein Anliegen.

Heute Mittag steht Theater auf dem Programm. Nicht irgendein Theater. Das Internationale Jugendtheaterprojekt „Tor zur Welt“ macht hier Station auf einer Tournee durch Hamburger Schulen, die bereits seit der Premiere beim Grenzgängerfestival im vergangenen Sommer andauert. Die Aula ist bis auf den letzten Platz mit Schülerinnen und Schülern gefüllt. Kein Handy blitzt. „Gedankenfreiheit, Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Recht auf Arbeit, Recht auf Sicherheit, Recht auf Freiheit“ brüllen die 21 Darsteller aus Afghanistan, Ecuador, Polen, der Ukraine – insgesamt aus über zehn Nationen.

Ein junger Darsteller in Kapuzenshirt mit Maske, offensichtlich ein Flüchtling, fragt danach, welche Identität eigentlich übrig bleibt nach all den Grenzen, die er hinter sich gelassen hat, wenn alle Spiegel wegfallen. Szenenwechsel. Marilyn Monroes „Running Wild“ tönt aus dem Lautsprecher. Eine junge Frau und ein junger Mann bahnen einen Kontakt an. Das führt zu interkulturellen Problemen. Wie bewahrt und achtet man Anstand und Tradition, Familie und Religion, wenn man sich als junger Mensch in Hamburg verliebt? „Ich werde nicht heil davonkommen, so oder so“, sagt eine junge Frau aus dem Off. Es gebe keine allgemeingültige Wahrheit. „Egal wohin wir gehen, wir tragen unsere Heimat im Herzen“, habe der Vater sie gelehrt.

Ernste Szenen wechseln mit humorvollen Episoden über Alltagssorgen, Sprachwirrwarr, Wut, wie die eines jungen Afrikaners, entlädt sich in selbst verfassten Hiphop-Songs. Geschichten, auch die traurigen, mit Leichtigkeit und Spielfreude darzustellen, gelingt der Inszenierung tempo- und abwechslungsreich, dicht an der jugendlichen Erlebniswelt. Sie ist erstaunliches Ergebnis des dreijährigen Kooperationsprojektes „Gott und die Welt und ich“ der Bildungsberatung CJD Hamburg + Eutin und des Thalia Theaters. Anerkennung wie die Einladung zum Jugendtheaterfestival Festivalla nach Berlin machen die Teilnehmer stolz. „Es ist wichtig, dass die Jugendlichen, die auf der Bühne stehen, mit den Schülerinnen und Schülern in Kontakt kommen. Zu der Frage, wie ist es, in Hamburg anzukommen? Wo fühlen wir uns zu Hause? Wie fühlt es sich an, hier zu sein und kein Deutsch zu sprechen?“, sagt Projektleiterin und Dramaturgin Kirsten Sass. In der Inszenierung werden Lebensgeschichten greifbar.

Aus Interviews mit Flüchtlingen und Migranten im Alter zwischen 16 und 27 Jahren, die eher unvergessliche Momente als eine chronologische Biografie im Fokus hatten, schuf Sass die Textgrundlage. Regisseur Altamasch Noor kam vor 14 Jahren als Zehnjähriger von Afghanistan nach Deutschland. Er hat eine Ausbildung an der Hamburger Schule für Schauspiel. Heute hilft er diesen Jugendlichen, hier ein wenig mehr anzukommen. Alle hören auf sein Kommando, wenn er ruhig, aber bestimmt vor der Aufführung an den Auf- und Abgang und die Maske erinnert.

Die Interviews förderten manch dunkle, traumatisierende Erfahrung zutage, so wie jene von Said Yaqoby, 20, der allein mit 16 Jahren vor Krieg und Taliban aus Afghanistan floh und eine wahre Odyssee antrat, die ihn über Stationen im Iran, Türkei, Griechenland, Italien, Frankreich, Belgien, Niederlande schließlich nach Deutschland führte. Er musste sich verstecken, schlief auf der Straße. Der junge Mann trägt einen stylischen Hut und ein T-Shirt mit einer Gitarre darauf. „Das ganze Leben ist doch Theater“, sagt er. „Jeder spielt eine Rolle. Hier kann ich manchmal ich selbst sein.“ Die Geschichte seiner Flucht wird als Schattenspiel mit originellen Pappfiguren dargestellt.

Yaqoby möchte Polizist werden, arbeitet auf den Hauptschulabschluss hin. Alle sind hier ehrgeizig, weshalb es manchmal schwierig ist, Aufführungstermine zu finden. Einmal in der Woche wird geprobt. Kinga Mrawiec, 21, kam vor drei Jahren als Au-pair nach Deutschland – und blieb. Hamburg erlebte sie zunächst als Kulturschock. „Dann habe ich viele junge Leute kennengelernt, Stärke entwickelt. Ich nehme meine Herausforderung an und gehe weiter“, sagt sie. Auf der Bühne fühle sie sich frei und glücklich. In „Tor zur Welt“ singt sie ein Lied ihrer Lieblingsrockband, das davon handelt. „Jeder hat Probleme, aber man muss versuchen, sie zu überwinden.“ Nach dem Abitur möchte sie Theaterpädagogik oder Medienkommunikation studieren.

Die Geschichten, so traurig, ernst, bunt und launig sie sind, zeigen, dass die Unterschiede oft gar nicht so groß sind, wie es scheint. Junge Menschen haben überall ähnliche Nöte. Nur, dass diese hier davon ein paar mehr haben. Das Beispiel könnte Schule machen. Eine Nachfolgeinszenierung ist in Arbeit.