Das Krass-Festival auf Kampnagel beschäftigt sich bis Mitte Februar mit den Themen Migration und Gastarbeit

Kampnagel. Über Migration wird europaweit viel diskutiert. Nach Ansicht des Hamburger Theaterregisseurs Branko Šimic allerdings nicht in angemessener Weise. Die Begriffe seien relativiert, ihr Wert verloren gegangen, die Realität der Migranten sei offensichtlich, aber politisch herrsche Schweigen. „Wir erleben gerade einen ideologischen Kampf. Sowohl die Meinung der Regierungen als auch der Bevölkerung ist nicht immer positiv. Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die die Flüchtlinge unterstützen, die in einer interkulturellen Welt leben wollen, in einer gerechten Welt“, erklärt der Regisseur, kantiges, markantes Gesicht, wacher Blick durch dicke Glasbausteine. „Ich frage mich, in welcher Welt wir eigentlich leben möchten.“ Darum sagte er auch sofort zu, als ihn die Kulturbehörde im vergangenen Jahr fragte, ob er ein Festival zum Thema kuratieren wolle. Das war die Geburtsstunde von „Krass – Kultur-Crash-Festival“ auf Kampnagel.

Die Gruppe God’s Entertainment befasst sich mit Fassbinders „Katzelmacher“

Nach 2013 steht vom 5. bis 15. Februar nun bereits die zweite Ausgabe an. Šimic, der 1992, als der Krieg ausbrach, seine Heimatstadt Tuzla im Norden Bosniens verließ, in Hamburg Regie studierte, und seitdem erfolgreich sowohl an Stadttheatern als auch in der Freien Szene inszeniert, scheint dafür der richtige Mann zu sein. Einer, der das Thema aus eigenem Erleben kennt, der weiß, wovon er spricht. Šimic selbst sagt, dass er nach drei Monaten integriert gewesen sei. Er konnte zunächst die Sprache nicht, las aber bald Büchner und Kafka. Erst als die Integrationsdebatte in Deutschland aufkam, habe er sich plötzlich desintegriert gefühlt.

„Ich habe viele Identitäten in mir“, sagt der Regisseur. „Migrant zu sein ist eine davon, aber es gibt auch andere. Vor allem bin ich Theaterregisseur.“ Das Festival betrachtet er als zweiwöchige Inszenierung. Er selbst bestreitet den Eröffnungsabend mit seinem Dokudrama „Abgrund – Ich bin ein alchemistisches Produkt“ (5.2. bis 8.2., 20 Uhr). Inspiriert von den Büchern und Interviews der libanesischen Künstlerin, Dichterin und Essayistin Etel Adnan, schildert Šimic eine widersprüchliche Welt.

Adnan, Tochter einer Griechin und eines Syrers, aufgewachsen im seinerzeit französisch kontrollierten Libanon, landete schließlich im San Francisco der Beat Generation und ist mit ihren 90 Jahren immer noch aktiv. In ihren Werken spiegelt sie die Widersprüche ihrer Biografie zwischen westlicher Moderne und archaischem Orient und hat ein klares Verständnis davon, dass in Kriegen, ob im Irak oder in Afghanistan, Kultur zerstört wird. Auf der documenta 13 galten ihre farbigen, kleinformatigen Malereien als besonders interessanter und poetischer Beitrag.

Šimic nimmt die Beschäftigung mit Adnan zum Anlass, einen collageartigen Abend über den Kulturverlust zu präsentieren. Eine Art Geschichtensammlung. „Alle beteiligten Künstler haben einen Vorder- und einen Hintergrund“, sagt er. „Und alle haben direkt oder indirekt Kriegserfahrungen.“ Der Dramaturg Nikola Duric, auch bekannt durch seine Arbeit mit Showcase Beat Le Mot, die Choreografin Rica Blunck, die Musiker Frau Kraushaar und Sascha Demand sind dabei, genau so wie jugendliche Sinti und Roma der Theatergruppe „Schwarzer Zahn“. „Es geht um unsere Anschauung der Welt aus lokaler Perspektive“, so Šimic.

Neben Branko Šimic präsentiert das preisgekrönte Ensemble Hajusom seine aktuelle Musik-Performance „Paradise Mastaz“ (6.2. bis 8.2., 19.30 Uhr) mit Puppen von Das Helmi. Aus Wien kehrt nach ihrem aufsehenerregenden „Human Zoo“ beim letztjährigen Live-Art-Festival die Formation God’s Entertainment nach Hamburg zurück. In „Cleaning, Babysitting, I help in the House – 7 Euro!“ (12.2. bis 15.2., 20 Uhr) befasst sich das Kollektiv mit Rainer Werner Fassbinders „Katzelmacher“ und recherchiert aktuell über die soziale Situation des Gastarbeiters anhand des so genannten Hamburger „Arbeiterstrichs“.

Der afrikanische Choreograf und Tänzer Panaibra Gabriel Canda nimmt „Time And Spaces“ (13./14.2., 21 Uhr) zum Anlass, alle politischen Umstände und Strömungen in seiner Heimat Mosambik mit dem Körper auszudrücken – vom Kolonialismus, Nationalismus, Kommunismus bis zum Militarismus. In „Mädchen gesucht!“ (13./14.2., 19.30 Uhr) forscht die Wilhelmsburger Ghetto Akademie nach der „wahren Weiblichkeit“. Hinzu kommen Lesungen und Konzerte. Und als „Krass-Camp“ wird sogar eine echte mongolische Jurte auf dem Kampnagel-Gelände installiert.

„Krass – Kultur-Crash-Festival" 5. bis 15.2., Kampnagel (Bus 172), Jarrestr. 20-24, Karten 8,- bis 18,- unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de