Hamburg. Ein Mann steht allein am Pult. Doch statt spröde sein Wasserglas anzumurmeln, fesselt er mit klugen Gedanken über Kunst und Historie. In seinem Atelier regiere die Offenheit, es gehe nicht um eine einzige geniale Idee. Ein Wochenende lang war der Südafrikaner William Kentridge, gefeierter Documenta-Künstler, Stammgast im Museum of Modern Art in New York und beim Festival d’Avignon, zu Gast am Schauspielhaus. Wer Zeit und Sitzfleisch mitbrachte, wurde durch ein intensives Kunsterlebnis belohnt.

Zunächst bei der ausführlichen Herleitung seines Weltverständnisses, das er in fünf gut einstündigen „Drawing Lessons“ erklärte – verteilt auf zwei Abende (Freitag und Sonnabend). Und dann später, am Sonntag, als auf die Theorie die Praxis folgte: in Gestalt der Kammeroper „Refuse the Hour“. Selten sah man das bis zum Rand gefüllte Schauspielhaus einem einzelnen Mann auf der Bühne so ehrerbietig lauschen. Lange hat hier keiner mehr Standing Ovations kassiert. Am Schluss steht der ganze Saal.

Kentridge gelingt dies dank seines wenig selbstgefälligen Vortragsstils und seiner stets nachvollziehbaren Gedanken, mögen sie auch noch so assoziativ voranschreiten. Vom Großen arbeitet er sich ins Kleine vor, wir sitzen in der Erkenntnis-Höhle aus Platons Gleichnis, streifen durch das kolonisierte Afrika, landen in der von Gewalterfahrung geprägten Realität von Johannesburg – und schließlich ebenda in einem Bücherregal seines Ateliers. Dabei interpretiert Kentridge Arien aus Mozarts „Zauberflöte“, zeichnet in per Video eingespielten Animationsfilmen und Schattenspielen Katzen, die sich in Telefone verwandeln, begeistert sich für die Archaik des Rhinozeros und spart auch eigene Schaffenskrisen nicht aus. Es ist, als hätte er ein großes Märchenbuch aufgeschlagen, das uns staunend in den Bann zieht.

In „Refuse the Hour“ setzt er schließlich mit der großartigen Tänzerin Dana Masilo und der Videokünstlerin Catherine Meybourgh sowie elf weiteren Musikern und Tänzern ein gigantisches Universum aus Sprache, Gesang, Tanz und Maschinen in Bewegung. Das begeistert tobende Publikum signalisiert ein klares „Mehr davon“, mehr bedeutende, internationale Theaterkunst. Ab dem 14. Februar wird der Schauspieler Joachim Meyerhoff die „Drawing Lessons“ regulär im Spielplan vortragen.

William Kentridge: „Drawing Lessons“ I, II und III ab 14.2., „Drawing Lessons“ IV, V und VI ab 15.2., jew. 19.00, Malersaal im Schauspielhaus, T. 24 87 13