Thalia Theater und Mitglieder der Lampedusa-Gruppe zeigen bei „L’Universal Schattensenat“ Zukunftsvisionen

Hamburg. Wie häufig im Leben braucht man ein persönliches Erlebnis, um nachdenklich zu werden. Für Thalia-Intendant Joachim Lux waren es die Fahrräder seiner Familie, die er aussortieren wollte. Er kam auf die Idee, sie den Lampedusa-Flüchtlingen zu schenken, rief Pastor Wilm an, der die Flüchtlinge in der St. Pauli Kirche beherbergte. Man sprach über einen Jelinek-Text, die Situation der Flüchtlinge, und schon war man sich einig, wie man weiter helfen könne. Durch gemeinsame Veranstaltungen, Geschichten, die man im Theater erzählt, Musik, Filme, die das Thema der Flüchtenden behandeln.

An diesem Mittwochabend lädt das Thalia mit Bernadette la Hengst und acht Flüchtlingen der Lampedusa-Gruppe in die St.Pauli Kirche zu Konzert und Video unter dem Titel „L’Universal Schattensenat“. Dort geht es um Flüchtlingsgeschichten, Musik und einen fiktiven Senat, der neue Ideen für Hamburg entwickelt. Hinterher wird gemeinsam gegessen, „um Zuschauer und Flüchtende zusammenzubringen“. Denn „es geht hier nicht nur um Caritas“, sagt Joachim Lux. „Wir, die satt und zufrieden sind, können von den Flüchtlingen sehr viel lernen, etwa über Kraft, Überlebenswillen oder Erfahrungen, die man an der Grenze zum Tod macht.“

„Ich habe Theater immer auch dezidiert politisch verstanden“, sagt Lux, „Theater ohne gesellschaftspolitischen Kontext kann ich nicht. Unser Spielplan beschäftigt sich mit Themen wie Internationalität und Migration. Die kosmopolitische Gesellschaft ist die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts.“ 2005, noch als Dramaturg am Wiener Burgtheater, hatte Lux den Autor Navid Kermani nach Afrika geschickt, um von dort aus über Europa zu berichten. Erstaunlich daran war, dass Kermani vom kulturellen Reichtum Europas schwärmte und verstört darüber war, wie man angesichts dieses Reichtums darüber hinwegsehen könne, dass an den Stacheldrähten, die Europa abschotten, Zehntausende sterben.

Für Lux war’s ein Schlüsselerlebnis, „ich bringe die Hochkultur mit dem inhumanen Gebaren nicht zusammen. Und ich bin entsetzt darüber, dass keine Partei eine Lösung für diese Problematik findet. Wir können das nicht mit Demonstrationen und Theateraktionen lösen, aber ich bin vom Theater, und man tut, was man kann.“

Seitdem hat das Thalia für und mit den Flüchtlingen eine Lesung eines Jelinek-Textes in der St Pauli Kirche veranstaltet, „unter großer Anteilnahme des Publikums. Wir haben 40.000 Euro gesammelt. Das zeigt, dass es in der Bevölkerung einen Bewusstseinswandel gibt. Wir haben es nicht mehr mit Ausländerfeindlichkeit zu tun, die Menschen empfinden den Umgang mit den Flüchtlingen als skandalös.“

Seit dem Sommer kommen manche Flüchtlinge auch ins Theater. Sie haben Kontakt zu den einzelnen Abteilungen, sie gehen auch in Vorstellungen, obwohl viele noch kein Deutsch können. „Am Anfang waren viele Flüchtlinge sehr scheu“, erklärt der Intendant, „das hat sich komplett geändert. Sie erzählen ihre Geschichten.“

Das Theater kann sicher nichts an der Flüchtlingspolitik des Landes ändern, aber es kann eine künstlerische Aufmerksamkeit für das Thema schaffen, „eine andere Art der Öffentlichkeit“, wie Lux sagt, „das geht weit über die normalen Unterstützerkreise hinaus“. Wer sich einmal persönlich und praktisch mit dem Thema beschäftigt, kommt davon meist nicht mehr los und ist hinterher verändert.

„Wenn ich mir etwas wünschen könnte“, so Joachim Lux, „dann wäre es, die Flüchtlinge durch unterschiedliche gemeinsame Aktionen stärker an unsere Gesellschaft heranzuführen, dass es zu wirklichen Begegnungen kommt. Sie können von uns lernen und wir von ihnen. Hilfe ist keine Einbahnstraße. Wenn wir als Theater mit unseren künstlerischen Mitteln bewirken können, so etwas möglich zu machen, dann wäre das schon viel.“

Man will mit künstlerischen Mitteln das Flüchtlingsthema im Bewusstsein halten. „Es gibt Pläne“, sagt Joachim Lux. Genau verraten möchte er sie allerdings noch nicht. Aber das Thalia beschäftigt sich inhaltlich sowieso schon damit. Neben den Stücken auf dem Spielplan, den Vorträgen und Veranstaltungen werden beispielsweise junge Migranten dazu eingeladen, die Lessingtage zu besuchen. 500 Karten werden verschenkt. Lux wünscht sich, dass „Menschen Kontakt suchen zu den Institutionen, die helfen. Wir alle müssen versuchen, diese Problematik human zu lösen, das greift in unser persönliches Verhalten ein, beispielsweise, wenn es darum geht, nur noch Fair Trade einzukaufen. Jeder Einzelne kann helfen, sich bereichern lassen und die Herausforderung annehmen.“

„L‘Universal Schattensenat“ Elektro-Pop-Performance, 20 Uhr, Pinnasberg 80, Eintritt frei