Das Drama „Venezianische Freundschaft“ ist ein Plädoyer für die europäische Integration

Shun Li (Zhao Tao) hat Sehnsucht. Ihr kleiner Sohn ist beim Großvater in China geblieben. Sie lebt in Italien und muss Schulden bei der chinesischen Mafia abstottern, die für ihre Aufenthaltsgenehmigung und ihre Reise bezahlt hat. Sie arbeitet zunächst als Näherin, dann schicken ihre Arbeitgeber sie von Rom hinter den Tresen einer Bar in Chioggia bei Venedig.

Nachdem sie gelernt hat, was man dort so alles trinkt – „Stan und Olli“ ist Rotwein mit einem Schuss Orangenlimonade, Café coretto ein Kaffee mit einem Schuss Pflaumenschnaps –, lebt sie sich ein, auch wenn sie zuerst selbst Fragen, die sie nicht versteht mit „Si“ beantwortet. In der Osteria verkehren fast ausschließlich ältere Männer. Zu einem, dem Dichter Bepi (Rade Serbedzija), entwickelt sich langsam eine besondere Beziehung. Vorsichtig kommen sie einander näher. Auch er ist ein Fremder allerdings schon vor 30 Jahren aus Ex-Jugoslawien eingewandert. Wie viele ihrer Vorfahren ist er Fischer. Sowohl den anderen Barbesuchern als auch der Mafia ist die ungewöhnliche Beziehung der beiden aber ein Dorn im Auge.

Einen wunderbar unspektakulären und einfühlsamen Film hat der italienische Regisseur Andrea Segre mit seinem Spielfilmdebüt „Venezianische Freundschaft“ geschaffen. Fast schon beiläufig erzählt er vom Wirken der chinesischen Mafia und von der Fremdenfeindlichkeit einiger Italiener. Zwischendurch blitzt aber auf beiden Seiten auch die Menschlichkeit auf. Behutsam bringt Segre, der vorher Dokumentarfilme drehte, aber auch als Soziologe gearbeitet hat, seine Protagonisten zusammen. Sie trennen viele Jahre Lebenserfahrung, aber in ihrer Einsamkeit sind sie seelenverwandt und erkennen das auch zum Beispiel in ihrer gemeinsamen Liebe zur Dichtkunst.

Der Regisseur gewinnt der Lagunenlandschaft des kleinen Küstenorts in der Nachbarschaft von Venedigs Pracht poetische Bilder voller eigenwilliger Schönheit ab. Besonders Serbedzija überzeugt in seiner Rolle mit bärbeißigem Charme. Segre für dieses Drama den Lux-Preis gewonnen, den das Europaparlament an Filme vergibt, die sich überzeugend mit dem Thema Integration auseinandersetzen.

Bewertung: empfehlenswert

„Venezianische Freundschaft“ Italien 2011, 98 Min., o. A., R: Andrea Segre, D: Zhao Tao, Rade Serbedzija, täglich im Abaton (auch OmU); www.iosonoli.com